Die Frau des Zeitreisenden
ich sind im Wald und spielen im Feuerkreis Schach. Es ist ein herrlicher Frühlingstag, in den Bäumen wimmelt es von Vögeln, die sich umwerben und nisten. Wir halten uns von Clares Familie fern, die heute Nachmittag überall herumwuselt. Clare brütet schon eine Weile über dem Brett. Vor drei Zügen habe ich ihre Königin genommen, und nun ist sie am Ende, will sich aber nicht kampflos ergeben.
Sie blickt auf. »Henry, wen magst du von den Beatles am liebsten?«
»John natürlich.«
»Warum > natürlich< ?«
»Na ja, Ringo ist auch okay, aber irgendwie zieht er immer den Kürzeren, verstehst du? Und George ist mir ein bisschen zu New Age.«
»Was ist >New Age«
»Abstruse Religionen. Doofe, langweilige Musik. Ein schwacher Versuch, sich selbst von der Großartigkeit alles Indischen zu überzeugen. Ablehnung der westlichen Medizin.«
»Da bist du doch auch dagegen.«
»Aber nur, weil die Ärzte mir immer weismachen wollen, dass ich verrückt bin. Mit einem gebrochenen Arm wäre ich ein großer Anhänger der westlichen Medizin.«
»Wie findest du Paul?«
»Paul ist für Mädchen.«
Clare lächelt schüchtern. »Ich mag Paul am liebsten.«
»Du bist ja auch ein Mädchen.«
»Warum ist Paul für Mädchen?«
Vorsicht, ermahne ich mich. »Hm, na ja, Paul ist irgendwie der nette Beatle, verstehst du?«
»Ist das schlimm?«
»Nein, überhaupt nicht. Aber Männer stehen eher auf coole Typen, und der coole Beatle ist nun mal John.«
»Aber der ist doch tot.«
Ich muss lachen. »Cool kann man auch als Toter sein. Eigentlich ist es dann sogar leichter, weil man nicht alt und fett wird, und man kriegt keinen Haarausfall.«
Clare summt den Anfang von »When I’m 64«. Sie rückt ihren Turm fünf Felder vor. Ich könnte sie jetzt matt setzen und weise sie daraufhin, worauf sie den Zug schnell zurücknimmt.
»Was gefällt dir denn an Paul?«, frage ich, und blicke gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie sie feuerrot wird.
»Er ist so ... schön«, schwärmt Clare. Sie sagt das auf eine Art, bei der mir ganz komisch wird. Ich studiere das Brett und merke, dass Clare mich matt setzen könnte, wenn sie meinen Läufer mit ihrem Springer nehmen würde. Ich überlege, ob ich es ihr sagen soll. Wäre sie etwas jünger, würde ich es tun, aber mit zwölf ist man alt genug, um sich allein durchs Leben zu schlagen. Clare starrt verträumt aufs Brett. Langsam dämmert mir, dass ich eifersüchtig bin. Gütiger Himmel! Es ist nicht zu fassen, ich bin eifersüchtig auf einen millionenschweren Rockstar, der altersmäßig Clares Vater sein könnte.
»Hä-hm«, sage ich.
Clare blickt auf und lächelt verschmitzt. »Und wen magst du?«
Dich, denke ich, sage aber: »Du meinst, als ich in deinem Alter war?«
»Ja. Wann warst du denn in meinem Alter?«
Ich wäge den möglichen Wert dieser Information ab, ehe ich sie zögernd herausgebe. »1975 war ich in deinem Alter. Ich bin acht Jahre älter als du.«
»Dann bist du jetzt zwanzig?«
»Eigentlich nicht, ich bin sechsunddreißig.« Alt genug, um dein Dad zu sein.
Clare runzelt die Stirn. Mathe ist nicht ihre große Stärke. »Aber wenn du 1975 zwölf warst...«
»Ach, entschuldige. Du hast völlig Recht. Weißt du, so wie ich hier sitze, bin ich sechsunddreißig, aber irgendwo dort draußen« -ich weise mit der Hand nach Süden - »bin ich zwanzig. In der wirklichen Zeit.«
Clare bemüht sich, das zu verdauen. »Dann gibt es dich also zweimal?«
»Nicht direkt. Mich gibt es immer nur einmal, aber wenn ich durch die Zeit reise, lande ich manchmal an einem Ort, wo ich mich schon befinde, und klar, dann könnte man sagen, es gibt zwei. Oder noch mehr.«
»Und wieso sehe ich nie mehr als einen?«
»Kommt noch. Wenn wir beide uns in meiner Gegenwart treffen, wirst du das recht oft erleben.« Öfter als mir lieb ist, Clare.
»Und wen hast du 1975 gemocht?«
»Eigentlich keinen. Mit zwölf hatte ich andere Dinge im Kopf. Aber mit dreizehn war ich total in Patty Hearst verknallt.«
Clare sieht verärgert aus. »Ein Mädchen aus deiner Schule?«
»Nein. Patty Hearst war eine reiche Studentin aus Kalifornien, die von bösen linksradikalen Terroristen gekidnappt wurde. Sie haben sie gezwungen, Banken auszurauben. Monatelang war sie jeden Abend in den Nachrichten.«
»Was ist aus ihr geworden? Und warum hast du sie gemocht?«
»Irgendwann haben sie sie freigelassen. Sie hat geheiratet, Kinder bekommen und jetzt lebt sie als reiche Frau in Kalifornien. Warum ich sie
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