Die Frau des Zeitreisenden
mochte? Ach, ich weiß nicht. Schwer zu erklären. Wahrscheinlich konnte ich mir vorstellen, wie ihr zumute war, nachdem man sie entführt hatte und zu Dingen zwang, die sie nicht tun wollte, und es dann so aussah, als würde es ihr Spaß machen.«
»Tust du Dinge, die du lieber nicht tün würdest?«
»Klar. Ständig.« Mein Bein ist eingeschlafen, und ich stehe auf und schüttle es, bis es kribbelt. »Ich lande nicht immer gesund und wohlbehalten bei dir, Clare. Oft komme ich irgendwohin, und muss mir erst mal was zum Anziehen und zum Essen klauen.«
»Oh.« Ihre Miene verfinstert sich, und dann entdeckt sie ihren Zug, führt ihn aus und sieht mich triumphierend an. »Schachmatt!«
»Hey! Bravo!« Ich mache eine tiefe Verbeugung vor ihr. »Du bist die Schachkönigin dujour.«
»Allerdings«, sagt Clare, rosa vor Stolz. Sie stellt die Figuren wieder in die Ausgangsposition. »Neue Partie?«
Ich tue, als wenn ich meine nicht vorhandene Uhr konsultiere. »Klar.« Ich setze mich wieder hin. »Hast du Hunger?« Wir sind seit Stunden hier und unsere Vorräte neigen sich dem Ende zu; wir haben nur noch die Krümel einer Tüte Doritos.
»Mmhmm.« Clare hält die Bauern hinter ihren Rücken. Ich tippe an ihren rechten Ellbogen, und sie zeigt mir den weißen. Ich mache meine Standarderöffnung, Bauer nach d4. Sie macht ihren Standardgegenzug auf meine Standarderöffnung: Bauer nach ds. Die nächsten zehn Züge spielen wir ziemlich schnell, ohne nennenswertes Blutvergießen, dann sitzt Clare eine Weile grübelnd vor dem Brett. Immer will sie experimentieren, immer sucht sie den coup d’éclat. »Und wen magst du heute?«, fragt sie ohne aufzublicken.
»Du meinst mit zwanzig? Oder mit sechsunddreißig?«
»Beide.«
Ich versuche mich an die Zeit mit zwanzig zu erinnern, sehe aber nur ein verschwommenes Bild von Frauen, Brüsten, Beinen, Haut und Haaren vor mir. Ihre Geschichten haben sich miteinander vermischt, die Gesichter verbinden sich nicht mehr mit Namen. Mit zwanzig hatte ich viele Frauen, aber glücklich war ich nicht. »Zwanzig war nichts Besonderes. Mir fällt niemand ein.«
»Und sechsunddreißig?«
Ich sehe Clare prüfend an. Ist zwölf noch zu jung? Ja, ganz bestimmt. Soll sie lieber von dem schönen, unerreichbaren, ungefährlichen Paul McCartney träumen, statt sich mit Henry, dem zeitreisenden Kerl, herumzuschlagen. Warum will sie das überhaupt wissen?
»Henry?«
»Ja?«
»Bist du verheiratet?«
»Ja«, gestehe ich widerstrebend.
»Mit wem?«
»Mit einer sehr schönen, geduldigen, begabten und klugen Frau.«
Ihr fällt die Kinnlade runter. »Aha.« Sie nimmt einen meiner weißen Läufer, den sie vor zwei Zügen erobert hat, und dreht ihn wie einen Kreisel auf der Erde. »Das ist aber schön.« Irgendwie scheint sie mein Geständnis zu ärgern.
»Was ist los?«
»Nichts.« Clare zieht ihre Dame von d4 nach g4. »Schach.«
Ich ziehe meinen Springer dazwischen, um meinen König zu schützen.
»Bin ich verheiratet?«, will Clare wissen.
Ich begegne ihrem Blick. »Heute gehst du aber zu weit.«
»Na und? Du verrätst mir sowieso nie was. Komm schon, Henry, sag mir, ob ich eine alte Jungfer werde.«
»Du bist eine Nonne«, ziehe ich sie auf.
Clare erschaudert. »Mann, bloß das nicht.« Mit ihrem Turm schlägt sie einen meiner Bauern. »Wie hast du deine Frau kennen gelernt?«
»Tut mir Leid. Das fällt unter die Schweigepflicht.« Ich nehme ihren Turm mit meiner Dame.
Clare verzieht das Gesicht. »Aua. Hast du sie auf einer Zeitreise kennen gelernt?«
»Ich hab mich um meinen eigenen Kram gekümmert.«
Clare seufzt und schlägt mit ihrem anderen Turm einen weiteren Bauern. Langsam gehen mir die Bauern aus. Ich ziehe meinen Damenläufer nach f4.
»Ich finde es ungerecht, dass du alles über mich weißt, mir aber nie was von dir erzählst.«
»Stimmt. Das ist ungerecht.« Ich versuche möglichst reuevoll und artig auszusehen.
»Ruth, Helen, Megan und Laura erzählen mir alles, und ich ihnen auch.«
»Alles?«
»Klar. Nur von dir wissen sie nichts.«
»Ach? Und wieso nicht?«
Clare macht ein trotziges Gesicht. »Du bist ein Geheimnis. Außerdem würden sie es mir nicht glauben.« Sie bedroht meinen Läufer mit ihrem Springer, grinst mich gerissen an. Ich begutachte das Brett und suche eine Möglichkeit, wie ich ihren Springer nehmen oder meinen Läufer retten kann. Es sieht nicht gut aus für Weiß. »Henry, bist du wirklich ein Mensch?«
Die Frage verblüfft mich etwas. »Ja.
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