Die Frau des Zeitreisenden
Sommernachtstraum.
Die Kehrseite an diesem Polizeiauto ist: Es ist warm, und ich bin nicht in Chicago. Die Ordnungshüter von Chicago hassen mich, weil ich immer verschwinde, wenn sie mich einbuchten, und sie kommen einfach nicht dahinter wie. Darüber hinaus weigere ich mich, mit ihnen zu sprechen, sie wissen also immer noch nicht, wer ich bin und wo ich wohne. Der Tag, an dem sie das herausfinden, ist mein Ende, denn es stehen noch einige Haftbefehle wegen verschiedenster Delikte gegen mich aus: Einbruchsdiebstahl, Ladendiebstahl, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sich-entziehen-von-Haftmaß-nahmen, Hausfriedensbruch, Erregen öffentlichen Agernisses, Raub und so weiter. Aus dieser Liste könnte man schließen, dass ich ein ziemlich ungeschickter Krimineller bin, doch das Hauptproblem liegt eigentlich in der Schwierigkeit, in nacktem Zustand keine Aufmerksamkeit zu erregen. Schläue und Schnelligkeit sind zwar meine größten Vorteile, aber es klappt eben nicht immer, wenn ich am helllichten Tag splitternackt in ein Haus einbrechen will. Siebenmal wurde ich verhaftet, und bislang bin ich immer entwischt, bevor sie meine Fingerabdrücke nehmen oder mich fotografieren konnten.
Die Anwohner starren mich durch die Fenster des Streifenwagens an. Mir egal. Mir egal. Das Ganze dauert eine Ewigkeit. Mist, wie ich das hasse. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen.
Eine Autotür wird geöffnet. Kalte Luft - meine Augen fliegen auf - ich sehe kurz das Metallgitter zwischen Fahrerkabine und hinterem Wagenteil, die rissigen Kunstledersitze, meine Hände in den Handschellen, die Gänsehaut auf meinen Beinen, den trüben Himmel durch die Windschutzscheibe, die Mütze mit dem schwarzen Schirm auf dem Armaturenbrett, das Klemmbrett in der Hand des Beamten, sein rotes Gesicht, buschige ergraute Augenbrauen und Hängebacken wie Gardinen - alles schimmert und schillert in Schmetterlingsfarben, und der Polizist sagt: »Hey, ich glaub, der hat einen Anfall...«, und meine Zähne klappern wie verrückt, der Streifenwagen verschwindet vor meinen Augen, und ich liege in meinem eigenen Garten auf dem Rücken. Ja. Tatsächlich! Ich fülle meine Lungen mit der klaren Septembernachtluft, setze mich auf und reibe mir die Handgelenke, die immer noch die Spuren der Handschellen tragen.
Und dann breche ich in schallendes Gelächter aus. Wieder bin ich entwischt! Houdini, Prospero, seht mich an!, denn auch ich bin ein Magier.
Plötzlich wird mir übel, und ich übergebe mich auf Kimys Chrysanthemen.
Samstag, 14. Mai 1983 (Clare ist 11, fast 12)
Clare: Mary Christina Heppworth hat Geburtstag, und alle Mädchen der fünften Klasse aus der St.-Basil-Schule übernachten bei ihr. Zum Abendessen gibt es Pizza, Cola und Obstsalat, und Mrs Heppworth hat einen großen Kuchen in Form eines Einhornkopfes gebacken, auf dem in roter Glasur Happy Birthday Mary Christinal steht, und als wir singen, bläst Mary Christina alle zwölf Kerzen mit einem Atemzug aus. Ich kann mir vorstellen, was sie sich dabei gewünscht hat: Wahrscheinlich hat sie sich gewünscht, nicht mehr zu wachsen. Jedenfalls würde ich mir das an ihrer Stelle wünschen. Mary Christina ist die Größte in unserer Klasse. Sie ist einsfünfundsiebzig. Ihre Mom ist ein bisschen kleiner als sie, aber ihr Dad, der ist wirklich ein Riese. Helen fragte Mary Christina mal nach seiner Größe, und sie sagte, er sei über zwei Meter groß. Sie ist das einzige Mädchen in der Familie, und ihre Brüder sind alle älter, rasieren sich schon und sind auch sehr groß. Sie achten darauf, dass sie uns auch wirklich wie Luft behandeln und essen jede Menge Kuchen, und immer wenn sie in unserer Nähe sind, kichern Patty und Ruth besonders laut. Es ist so peinlich. Mary Christina macht ihre Geschenke auf. Ich habe ihr einen grünen Pullover geschenkt, den Gleichen wie mein blauer mit dem Kragen von Laura Ashley, der ihr so gut gefallen hat. Nach dem Essen sehen wir uns auf Video The Parent Trap an, und die Heppworths hängen irgendwie alle herum und beobachten uns, bis wir abwechselnd nach oben ins Badezimmer gehen, unsern Schlafanzug anziehen und uns in Mary Christinas Zimmer zwängen, das vollkommen rosa eingerichtet ist, sogar der Teppichboden. Man könnte meinen, ihre Eltern haben sich unheimlich gefreut, als nach den vielen Jungs endlich ein Mädchen kam. Wir alle haben unsere Schlafsäcke mitgebracht, stapeln sie aber an der Wand und setzen uns auf Mary Christinas Bett oder auf den Boden.
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