Die Frau des Zeitreisenden
und weiße Gummilatschen. Die Sachen sind mir unbekannt, ich habe also keine Ahnung, in welcher Zeit ich bin. Clare hat mir auch eine Kleinigkeit zu essen dagelassen: Ein sorgfältig in Alufolie eingewickeltes Sandwich mit Erdnussbutter und Gelee, dazu ein Apfel und eine Tüte Jay Kartoffelchips. Vielleicht ist es eins von Clares Pausenbroten. Meine Vermutungen gehen in Richtung der späten Siebziger oder frühen Achtziger. Ich setze mich auf den Stein und esse mein Frühstück, danach fühle ich mich gleich besser. Langsam geht die Sonne auf. Die ganze Wiese schimmert blau, dann orange und rosa, die Schatten werden immer länger, und dann ist es hell. Weit und breit keine Clare. Ich krieche ein Stück weiter ins Gestrüpp, rolle mich auf der Erde zusammen, obwohl sie vom Tau noch nass ist, und schlafe ein.
Als ich aufwache, steht die Sonne höher, und Clare sitzt neben mir und liest ein Buch. Sie lächelt mich an und sagt: »Es wird Tag im Sumpf. Die Vögel singen und die Frösche quaken und es ist Zeit, aufzustehen!«
Stöhnend reibe ich mir die Augen. »Hallo, Clare. Der wievielte ist heute?«
»Sonntag, der 23. September 1984.«
Clare ist dreizehn. Ein seltsames und schwieriges Alter, wenn auch längst nicht so schwierig wie alles, was wir in meiner Gegenwart durchmachen. Ich setze mich auf und gähne. »Clare, wenn ich dich ganz lieb bitte, würdest du mir dann eine Tasse Kaffee aus dem Haus schmuggeln?«
»Kaffee?« Clare sagt das, als handle es sich um eine fremde Substanz. Später ist sie danach genauso süchtig wie ich. Sie denkt über die Logistik nach.
»Bitte, bitte.«
»Na gut, ich tu mein Bestes.« Langsam steht sie auf. In diesem Jahr wurde Clare schnell groß. Im vergangenen Jahr ist sie zwölf Zentimeter gewachsen, und sie fühlt sich in ihrem neuen Körper noch nicht so recht wohl. Alles hat sich neu geformt, ihre Brüste, Beine und Hüften. Ich beobachte, wie sie den Pfad zum Haus hinaufgeht, und versuche, den Gedanken zu verscheuchen. Ich werfe einen Blick auf das Buch, in dem sie gelesen hat, ein Titel von Dorothy Sayers, den ich nicht kenne. Bei ihrer Rückkehr bin ich auf Seite dreiunddreißig. Sie hat eine Thermoskanne, Becher, eine Decke und ein paar Donuts mitgebracht. Clares Nase ist von der vielen Sonne voll Sommersprossen, und ich muss mich beherrschen, um ihr nicht durch die ausgebleichten Haare zu streichen, die ihr über die Arme fallen, als sie die Decke ausbreitet.
»Gott segne dich.« Ich nehme die Thermoskanne wie ein Heiligtum entgegen, dann machen wir es uns auf der Decke bequem. Ich kicke die Gummilatschen weg, schenke einen Becher Kaffee ein und trinke einen Schluck. Er schmeckt unglaublich stark und bitter. »Auweia! Clare, das ist Raketenbrennstoff.«
»Zu stark?« Sie macht ein leicht enttäuschtes Gesicht, und ich beeile mich, sie zu loben.
»Also, zu stark kann Kaffee wahrscheinlich gar nicht sein, aber er ist nicht ohne. Mir schmeckt er trotzdem. Hast du ihn gemacht?«
»Ja. Ich hab noch nie Kaffee gekocht, und dann war auch noch Mark da und hat genervt. Vielleicht hab ich ja was falsch gemacht.«
»Nein, alles bestens.« Ich puste auf den Kaffee, stürze ihn hinunter und fühle mich sofort besser. Ich schenke mir noch einen Becher.
Clare nimmt die Thermoskanne, gießt sich einen kleinen Schluck ein und nippt vorsichtig. »Igitt«, sagt sie. »Ist ja widerlich. Muss das so schmecken?«
»Nun, normalerweise ist er nicht ganz so stark. Du trinkst ihn gern mit viel Milch und Zucker.«
Clare schüttet den Rest ihres Kaffees in die Wiese und nimmt einen Donut. Dann sagt sie: »Du machst mich noch zum Freak.«
Auf diese Bemerkung habe ich keine Antwort parat, denn der Gedanke ist mir noch nie in den Sinn gekommen. »Hm, nein, stimmt nicht.«
»Doch.«
»Nein.« Ich überlege. »Was soll das heißen, ich mach dich zum Freak? Ich mach dich zu gar nichts.«
»Wenn du mir zum Beispiel sagst, dass ich meinen Kaffee mit Milch und Zucker mag, obwohl ich gerade mal einen winzigen Schluck probiert habe. Ich meine, wie soll ich herausfinden, ob mir etwas schmeckt oder nicht, wenn du behauptest, es schmeckt mir?«
»Aber Clare, es geht doch nur um den persönlichen Geschmack. Natürlich musst du selbst herausfinden, wie du deinen Kaffee magst, ganz egal, was ich sage. Im Übrigen nervst du mich doch immer damit, dass ich dir von der Zukunft erzählen soll.«
»Über die Zukunft Bescheid zu wissen ist etwas anderes als gesagt zu bekommen, was ich mag«, widerspricht
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