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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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und schon bin ich verschwunden.
Donnerstag, 13. Januar 2000 (Henry ist 36, Clare 28)
     
    Henry: Nach dem Essen denke ich immer noch an Clares Zeichnung, also gehe ich in ihr Atelier, um sie mir anzusehen. Clare arbeitet gerade an einer riesigen Skulptur aus winzigen purpurroten Papierbüscheln; sie sieht aus wie eine Kreuzung zwischen einem Muppet und einem Vogelnest. Vorsichtig umrunde ich die Skulptur und trete an Clares Tisch. Die Zeichnung hängt nicht da.
    Clare kommt mit einem Arm voll Manilahanf herein. »Hey.« Sie wirft ihn auf den Boden und geht zu mir herüber. »Was ist los?«
    »Wo ist die Zeichnung abgeblieben, die hier immer hing? Du weißt schon, die von mir.«
    »Keine Ahnung. Vielleicht ist sie runtergefallen.« Clare schaut unterm Tisch nach und sagt: »Da ist sie nicht. Oh, warte, ich hab sie.« Sie taucht wieder auf und hält die Zeichnung zwischen zwei Fingern. »Igitt, überall Spinnweben.« Sie wischt sie ab und gibt sie mir. Ich werfe einen Blick darauf. Das Blatt ist immer noch undatiert.
    »Was ist mit dem Datum passiert?«
    »Welchem Datum?«
    »Du hattest das Datum unten hingeschrieben. Unter deinem Namen. Sieht aus, als wäre es abgeschnitten worden.«
    Clare lacht. »Gut. Ich gestehe. Ich hab’s abgeschnitten.«
    »Und warum?«
    »Deine Bemerkung mit dem Dritten Weltkrieg hat mich völlig aus der Fassung gebracht. Ständig musste ich daran denken, dass wir uns vielleicht in der Zukunft nie begegnen, nur weil ich es unbedingt ausprobieren wollte.«
    »Ich bin froh, dass du’s getan hast.«
    »Warum?«
    »Weiß nicht. Einfach so.« Wir sehen uns an, dann lächelt Clare, ich zucke mit den Achseln, und damit ist das Thema beendet. Aber warum habe ich das Gefühl, als wäre fast etwas Unmögliches geschehen? Warum bin ich so erleichtert?

HEILIGABEND, EINS (ALWAYS CRASHING IN THE SAME CAR)
Samstag, 24. Dezember 1988 (Henry ist 40, Clare 17)
     
    Henry: Ein dunkler Winternachmittag. Ich bin im Keller von Meadowlark, genauer gesagt im Leseraum. Clare hat mir etwas Proviant hier gelassen: Roastbeef und Käse auf Vollkorntoast mit Senf, einen Apfel, einen Liter Milch und eine Plastikdose voll Weihnachtsplätzchen: Kokoskugeln, Zimtnussrauten und Erdnussbutterkekse mit kleinen Schokoküssen in der Mitte. Ich trage meine Lieblingsjeans und ein T-Shirt mit Sex-Pistols-Aufdruck. Eigentlich sollte ich glücklich und zufrieden sein, aber ich bin es nicht: Clare hat mir auch die heutige Ausgabe des South Haven Daily hier gelassen, datiert vom 24. Dezember 1988. Heiligabend. Heute wird sich mein fünfundzwanzigjähriges Ich in der Get Me High Lounge in Chicago betrinken, bis ich vom Barhocker falle und im Merci Hospital lande, wo man mir den Magen auspumpt. Und es ist der neunzehnte Todestag meiner Mutter.
    Ich sitze ruhig da und denke an meine Mom. Schon komisch, wie Erinnerungen im Laufe der Zeit an Substanz verlieren. Könnte ich mich nur auf meine Kindheitserinnerungen stützen, dann wäre das Bild von meiner Mutter vage und verschwommen und es würden nur ein paar lichte Momente herausragen. Als ich fünf war, hörte ich sie die Lulu in der Lyric Opera singen. Ich erinnere mich noch an Dad, der neben mir saß und am Ende des ersten Aktes völlig euphorisch zu ihr hoch lächelte. Ich erinnere mich noch, wie ich mit Mom in der Orchestra Hall war und wir Dad unter Boulez Beethoven spielen hörten. Ich weiß noch, dass ich bei einer Party meiner Eltern ins Wohnzimmer durfte und Blakes Tiger, Tiger, grelle Pracht aufsagte, komplett mit Knurrgeräuschen. Ich war vier, und als ich fertig war, hob meine Mutter mich hoch, küsste mich, und alle applaudierten. Sie hatte dunklen Lippenstift benutzt, und ich bestand darauf, mit dem Abdruck ihrer Lippen auf den Wangen ins Bett zu gehen. Ich erinnere mich noch, wie sie im Warren Park auf einer Bank saß, während mein Vater mich auf der Schaukel anschubste, und sie ständig größer und kleiner wurde, größer und kleiner.
    Das zugleich Schönste und Traurigste am Zeitreisen ist die Möglichkeit gewesen, meine Mutter immer wieder lebendig zu sehen. Ein paar Mal habe ich sogar mit ihr geredet, Banalitäten wie: »Mieses Wetter heute, was?« Ich biete ihr meinen Platz in der Hochbahn an, folge ihr in den Supermarkt, beobachte sie beim Singen. Ich halte mich vor der Wohnung auf, in der mein Vater noch heute lebt, und sehe mir an, wie die beiden - manchmal mit mir als Kind -Spaziergänge machen, ins Restaurant gehen oder ins Kino. Ich spreche von den 1960er

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