Die Frau des Zeitreisenden
»Wovon redest du überhaupt?«
»Sie hatten vor zu heiraten. Dann schmeißt Henry alles hin, sagt zu Ingrid, tut mir Leid, war ein Fehler, vergiss es einfach. Ich finde, ohne ihn ist sie besser bedient, aber sie will nichts davon wissen. Er behandelt sie schlecht, trinkt als gäbe es kein Morgen mehr, verschwindet tagelang und kreuzt dann wieder auf, als wär nichts gewesen, schläft mit allem, was lang genug stillhält. So ist Henry. Wenn du also irgendwann heulst und flennst, sag nicht, keiner hätte dich vor ihm gewarnt.« Sie dreht sich abrupt um und geht zu Ingrid zurück, die mich immer noch anstarrt, mit einem Blick der blanken Verzweiflung.
Wahrscheinlich gaffe ich die beiden an. »Tut mir Leid«, sage ich und fliehe.
Ich streife durch die Gänge und finde schließlich eine fast leere Nische mit einem Kunstledersofa, auf dem nur ein Grufti-Mädchen liegt, das mit einer brennenden Zigarette in der Hand den Geist aufgegeben hat. Ich nehme ihr die Kippe aus der Hand und drücke sie auf dem schmutzigen Kachelboden aus. Ich setze mich auf die Sofalehne, und die Musik vibriert durch mein Steißbein die Wirbelsäule hoch, ich spüre sie bis in die Zähne. Ich muss immer noch pinkeln, und der Kopf tut mir weh. Am liebsten würde ich heulen. Ich begreife einfach nicht, was da eben geschehen ist. Das heißt, ich begreife es schon, aber ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Soll ich es einfach ignorieren, oder soll ich mich aufregen und eine Erklärung von Henry verlangen, oder was? Aber was hatte ich denn erwartet? Ich wünschte, ich könnte eine Karte in die Vergangenheit schicken, an Henry, diesen Schuft, den ich offenbar nicht kenne: Tu nichts. Warte auf mich. Ich wünschte, du wärst hier.
Henry streckt den Kopf um die Ecke. »Da bist du ja. Ich dachte schon, ich hätte dich verloren.«
Kurzer Haarschnitt. Henry hat sich entweder in der letzten halben Stunde die Haare schneiden lassen, oder aber er ist wieder durch die Zeit gereist und vor mir steht die Henry-Version, die ich am liebsten mag. Ich springe auf und falle ihm um den Hals.
»Hey, freut mich auch sehr...«
»Du hast mir so gefehlt...«, und jetzt heule ich wirklich.
»Aber du bist seit Wochen fast ununterbrochen mit mir zusammen.«
»Ich weiß, aber... irgendwie bist du noch nicht du ... um ehrlich zu sein, du bist anders. Verdammt.« Ich lehne mich an die Wand, und Henry presst sich an mich. Wir küssen uns, und dann schleckt er mir das Gesicht wie eine Katzenmama. Ich versuche zu schnurren und muss lachen. »Mistkerl. Du willst nur von deinem ruchlosen Verhalten ablenken...«
»Welchem Verhalten? Ich wusste doch nicht, dass es dich gibt. Ich war unglücklich mit Ingrid. Ich bin dir begegnet. Keine vierundzwanzig Stunden später hab ich mit ihr Schluss gemacht. Oder kann man rückwirkend untreu sein?«
»Sie hat gesagt...«
»Wer hat gesagt?«
»Die schwarze Frau.« Ich zeige lange Haare an. »Klein, große Augen, Dreads...«
»Guter Gott. Celia Attley. Die verabscheut mich. Sie ist in Ingrid verknallt.«
»Sie sagt, dass du Ingrid heiraten wolltest. Dass du dich ständig betrinkst, durch die Gegend vögelst und überhaupt ein grottenschlechter Mensch bist, vor dem ich mich hüten sollte. Genau das hat sie gesagt.«
Henry ist hin- und hergerissen zwischen Freude und Ungläubigkeit. »Nun, manches davon stimmt tatsächlich. Ich hab wahllos durch die Gegend gevögelt, und es stimmt zweifellos, dass ich mich oft maßlos betrunken habe. Aber wir waren nicht mal verlobt. Ich wäre nie so bescheuert gewesen, Ingrid zu heiraten. Wir waren todunglücklich zusammen.«
»Aber warum ist...«
»Clare, es kommt nicht oft vor, dass man seinen Seelengefährten im zarten Alter von sechs kennen lernt. Irgendwie musste ich mir die Zeit vertreiben. Und Ingrid war sehr - geduldig. Viel zu geduldig. Meine Marotten hat sie in Kauf genommen und gehofft, dass ich irgendwann Vernunft annehme und ihren gequälten Arsch heirate. Aber wenn jemand so geduldig ist, muss man ihm dankbar sein, und dafür will man ihm irgendwann wehtun. Kannst du das nachvollziehen?«
»Glaub schon. Das heißt, nein, eigentlich nicht, aber ich denke auch nicht so.«
Henry seufzt. »Ich finde es überaus rührend, wie fremd dir die verdrehte Logik der meisten Beziehungen ist. Vertrau mir. Als wir uns begegnet sind, war ich kaputt, abgedreht und am Ende, aber langsam reiße ich mich zusammen, weil ich begreife, dass du ein guter Mensch bist und ich auch gern so wäre. Ich
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