Die Frau des Zeitreisenden
wollte mich bessern, ohne dass du meine Bemühungen merkst, weil ich offenbar immer noch nicht begriffen habe, dass Heuchelei zwischen uns zwecklos ist. Aber es ist ein langer Weg von dem Ich, mit dem du es 1991 zu tun hast, bis hin zu dem Ich von 1996, vor dem du gerade stehst. Du musst an mir arbeiten, allein schaff ich es nicht.«
»Ja, aber es ist schwer. Ich bin nicht gewöhnt, Lehrerin zu spielen.«
»Wenn du irgendwann mutlos bist, denk an die vielen Stunden, die ich mit deinem kleinen Ich verbracht habe und noch verbringe. Mit Mathe und Pflanzenkunde, Rechtschreibung und amerikanischer Geschichte. Im Ernst, du kannst doch nur französische Frechheiten zu mir sagen, weil ich sie mit dir gepaukt habe.«
»Wie wahr. Il a les défauts de ses qualités. Aber das alles ist vermutlich leichter zu vermitteln als jemandem beizubringen - glücklich zu sein.«
»Du machst mich glücklich. Das Schwierige ist nur, seinem Glück gerecht zu werden.« Henry spielt mit meinen Haaren, zwirbelt sie in kleine Knoten. »Pass auf, Clare. Ich überlasse dich jetzt wieder dem armen imbécile, mit dem du gekommen bist. Er sitzt deprimiert oben und fragt sich, wo du bleibst.«
Mir wird klar, dass ich in meiner Freude über das Wiedersehen mit meinem früheren und künftigen Henry den aktuellen völlig vergessen habe. Ich schäme mich und verspüre den beinahe mütterlichen Wunsch, loszugehen und den seltsamen Jungen zu trösten, der sich zu dem Mann vor mir entwickelt, dem Mann, der mich küsst und mit der Mahnung zurücklässt, nett zu sein. Auf der Treppe sehe ich dem Henry meiner Zukunft nach, der sich in das Gedränge der zuckenden Tänzer stürzt, und bewege mich wie im Traum auf den Henry zu, der mein Hier und Jetzt ist.
HEILIGABEND, DREI
Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, 24., 25., 26. Dezember 1991 (Clare ist 20, Henry 28)
Clare: Es ist 8.32 Uhr am vierundzwanzigsten Dezember. Henry und ich sind unterwegs nach Meadowlark und wollen dort Weihnachten feiern. Hier in Chicago ist ein schöner klarer Tag, es hat nicht geschneit, aber in South Haven liegen fünfzehn Zentimeter Schnee. Bevor wir aufgebrochen sind, hat Henry eine Weile das Gepäck umgeräumt, die Reifen überprüft, einen Blick unter die Haube geworfen. Ich glaube nicht, dass er auch nur die geringste Ahnung von dem hatte, was er vor sich sah. Mein Auto ist ein süßer kleiner weißer Honda Civic, Baujahr 1990, und ich liebe ihn, Henry aber hasst Autofahrten, vor allem in kleinen Modellen. Er ist ein schrecklicher Beifahrer, klammert sich an der Armlehne fest und bremst immer mit. Würde er selbst am Steuer sitzen, hätte er wahrscheinlich weniger Angst, aber aus verständlichen Gründen besitzt Henry keinen Führerschein. Wir schnurren also an diesem schönen Wintertag die Indiana Toll Road entlang; ich bin gelassen und freue mich auf meine Familie, Henry dagegen ist ein Nervenbündel. Dass er heute früh nicht gelaufen ist, macht die Sache nicht leichter; mir ist aufgefallen, dass Henry, um glücklich zu sein, unglaublich viel körperliche Bewegung braucht. Es ist, als hätte man einen Windhund um sich. Das Leben mit Henry in der wirklichen Zeit ist anders. Als ich aufwuchs, kam und ging er, aber unsere Treffen waren konzentriert, dramatisch und beklemmend. Henry wollte mir viele Sachen nicht erzählen, und die meiste Zeit durfte ich ihm nicht zu nahe kommen, so dass ich mich immer sehr unzufrieden fühlte. Als ich ihn endlich in der Gegenwart fand, dachte ich erst, es wäre genauso. Aber es ist weitaus besser, und zwar in vielerlei Hinsicht. Vor allem wehrt er sich nicht mehr gegen meine Nähe, ganz im Gegenteil, Henry berührt mich ständig, küsst mich, schläft mit mir. Ich fühle mich wie neu geboren, wie ein Mensch, der in einem warmen Teich der Lust schwimmt. Und er erzählt mir alles! Was ich ihn auch frage, über sein Leben oder seine Familie, er antwortet mir, nennt Namen, Orte, Daten. Begebenheiten, die mir als Kind völlig rätselhaft schienen, erweisen sich plötzlich als völlig logisch. Am schönsten aber ist, dass ich lange Zeitabschnitte mit ihm verbringe - Stunden, Tage. Ich weiß, wo ich ihn finden kann. Er geht zur Arbeit, kommt nach Hause. Manchmal schlage ich mein Adressbuch auf und lese einfach nur den Eintrag: Henry DeTamble, 714 Dearborn, ne, Chicago, IL 60610, 312-431-8313. Ein Nachname, eine Adresse, eine Telefonnummer. Ich kann ihn einfach anrufen. Ein Wunder. Ich fühle mich wie Dorothy, als ihr Haus in Oz bruchlandete und die
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