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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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schnell zur Treppe. Nach drei Stufen drehe ich mich um: Sie steht da und schaut uns nach, die Arme an den Seiten, hilflos und angespannt. Auch Henry blickt kurz zurück, dann drehen wir uns um und gehen auf der Treppe weiter.
    Unser Tisch ist erstaunlicherweise immer noch frei, auch die Mäntel liegen noch da. Die Lichter werden schwächer, und Henry sagt über den Krach der Menge hinweg: »Tut mir Leid. Bis zur Bar bin ich gar nicht durchgedrungen, Ingrid ist mir über den Weg gelaufen...«
    Wer ist Ingrid? Ich entsinne mich, wie ich in Henrys Bad stand, in der Hand einen Lippenstift, ich muss es jetzt wissen, aber Dunkelheit senkt sich herab, und die Violent Femmes kommen auf die Bühne.
    Gordon Gano steht am Mikrophon und starrt in die Menge, ein paar drohende Akkorde krachen los, er beugt sich vor, intoniert die ersten Zeilen von Blister in the Sun, und alles Weitere ergibt sich von selbst. Wir sitzen da und hören zu, bis Henry sich zu mir beugt und brüllt: »Willst du gehen?« Die Tanzfläche ist eine brodelnde Masse von zuckenden Menschen.
    »Ich will tanzen!«
    Henry wirkt erleichtert. »Toll! Ja! Komm mit!« Er streift seine Krawatte ab und steckt sie in die Manteltasche. Dann gehen wir nach unten in den Hauptsaal. Ich sehe Charisse und Gomez, die mehr oder weniger zusammen tanzen. Charisse wirkt selbstvergessen und wie im Fieber, Gomez bewegt sich kaum, eine Zigarette steckt kerzengerade zwischen seinen Lippen. Er sieht mich und winkt mir kurz zu. Sich durch die Menge zu schlagen ist wie Waten im Lake Michigan; wir werden aufgesogen und weiter getragen, schwemmen auf die Bühne zu. Die Menge brüllt Add it up! Add it up! und die Femmes antworten, indem sie ihre Instrumente mit irrsinniger Energie attackieren.
    Henry bewegt sich, er bebt mit dem Bass. Wir bleiben kurz vor dem wilden Hexenkessel vor der Bühne stehen, auf der einen Seite werfen sich Tänzer in vollem Tempo aufeinander, auf der anderen schwenken sie Hüften, wedeln mit den Armen und bewegen sich im Takt zur Musik.
    Wir tanzen. Die Musik durchströmt mich in Klangwellen, die mein Rückgrat packen und Füße, Hüften und Schultern steuern, ohne mein Hirn zu befragen. ( Beautiful girl, love your dress, high school smile, oh yes, where she is now, I can only guess.) Ich öffne die Augen und sehe, wie Henry mich, während er tanzt, beobachtet. Als ich die Arme hebe, fasst er mich um die Taille, und ich springe hoch. Eine ganze Ewigkeit bietet sich mir ein Blick auf die Tanzfläche. Jemand winkt mir zu, aber noch bevor ich erkenne, wer es ist, hat Henry mich wieder abgesetzt. Wir tanzen zusammen, wir tanzen getrennt. ( How can I explain personal pain?) Mir läuft der Schweiß herunter. Henry schüttelt den Kopf, seine Haare sind ein schwarzer Schleier, überall trifft mich sein Schweiß. Die Musik ist aggressiv und zynisch. (I ain't had much to livefor I ain't had much to live for I ain't had much to live for). Wir stürzen uns hinein. Mein Körper ist elastisch, meine Beine wie taub, etwas wie weiße Hitze wandert mir vom Schritt bis unter die Kopfhaut. Die Haare hängen mir in feuchten Strähnen auf Armen, Hals, Gesicht und Rücken. Dann bricht die Musik ab, als würde sie in eine Wand krachen. Mein Herz rast. Ich lege meine Hand auf Henrys Brust und stelle erstaunt fest, dass seines nur minimal schneller schlägt.
    Wenig später gehe ich auf die Damentoilette und sehe Ingrid weinend auf einem Waschbecken sitzen. Eine kleine schwarze Frau mit wunderschönen langen Dreads steht vor ihr, spricht leise auf sie ein und streichelt ihr über die Haare. Ingrids Schluchzen hallt von den feuchten gelben Kacheln wider. Ich versuche mich rückwärts aus dem Raum zu stehlen, aber meine Bewegung weckt ihre Aufmerksamkeit. Sie mustern mich. Ingrid sieht schrecklich aus. Verschwunden ist die germanische Kühlheit, ihr Gesicht ist rot und verquollen, das Make-up verschmiert. Sie starrt mich trostlos und verloren an. Die schwarze Frau kommt zu mir herüber. Sie ist schön, zerbrechlich, dunkel und traurig. Dicht vor mir bleibt sie stehen.
    »Schwester«, sagt sie, »wie heißt du?«
    Ich zögere. »Clare«, antworte ich schließlich.
    Sie dreht sich zu Ingrid um. »Clare. Lass dir einen klugen Rat geben. Du mischst dich in etwas ein, wo du nicht erwünscht bist. Henry ist ein Problem, aber er ist Ingrids Problem, also sei nicht dumm und lass die Finger von ihm. Hast du mich verstanden?«
    Eigentlich will ich es nicht wissen, aber ich kann mich nicht beherrschen.

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