Die Frau des Zeitreisenden
Henry an, in dessen Gesicht sich blankes Entsetzen spiegelt.
»Was ist?«, frage ich ihn leise.
»Die Geschwindigkeit. Die Bilder springen alle paar Sekunden, das macht mich ganz krank.« Henry reibt sich mit den Fingern über die Augen. »Ich glaube, ich geh eine Runde lesen.« Er steht auf, verlässt das Zimmer, und kurz darauf höre ich seine Schritte auf der Treppe. Ich spreche rasch ein Gebet: Bitte, Gott, lass Henry nicht durch die Zeit reisen, vor allem nicht, wenn wir in die Kirche gehen wollen und mir keine Erklärung einfällt. Der Vorspann erscheint auf dem Bildschirm, Alicia klettert auf die Couch.
»Henry hat aber nicht lang durchgehalten«, bemerkt sie.
»Manchmal hat er sehr starke Kopfschmerzen. Die Sorte, bei der man sich im Dunkeln, ohne sich zu bewegen, hinlegen muss, und wenn jemand buh sagt, explodiert einem der Schädel.«
»Oh.« James Stewart sieht ein paar Reisebroschüren durch, aber seine Abreise wird durchkreuzt, weil er einen Ball besuchen muss. »Er ist echt süß.«
»Jimmy Stewart?«
»Der auch. Nein, ich meine deinen Freund. Henry.«
Ich grinse, stolz wie ein Pfau, als hätte ich Henry selbst gemacht. »Klar.«
Donna Reed lächelt Jimmy Stewart in einem gedrängt vollen Raum strahlend an. Nun tanzen sie, und Jimmy Stewarts Rivale hat den Schalter umgelegt, der die Tanzfläche über einem Schwimmbecken öffnet. »Mama mag ihn auch gern.«
»Halleluja.« Donna und Jimmy tanzen rückwärts ins Schwimmbecken, und während die Band weiterspielt, springen bald alle Pärchen in Abendgarderobe hinter ihnen her.
»Nell und Etta mögen ihn auch.«
»Na großartig. Jetzt müssen wir nur noch die nächsten sechsunddreißig Stunden überstehen, ohne den guten ersten Eindruck zu zerstören.«
»Das kann doch wohl nicht so schwer sein. Außer - nein, so dumm wärst du nie...« Alicia sieht mich unschlüssig an. »Oder doch?«
»Natürlich nicht.«
»Natürlich nicht«, echot sie. »Mein Gott, ich kann Mark nicht verstehen. So ein dummer Arsch.« Jimmy und Donna singen Buffalo Girls, wontyou come out tonight und spazieren die Straßen in Bedford Falls entlang, angetan mit einer Footballmontur beziehungsweise einem Bademantel. »Du hättest gestern hier sein sollen. Ich dachte wirklich, Daddy kriegt unmittelbar vorm Weihnachtsbaum einen Herzinfarkt. Ich sah ihn schon vor mir, wie er umkippt und der Baum auf ihn fällt und die Sanitäter den ganzen Christbaumschmuck und die Geschenke von ihm wegräumen müssen, bevor sie erste Hilfe leisten können...« Jimmy bietet Donna den Mond, und sie nimmt großzügig an.
»Hattest du nicht einen Erste-Hilfe-Kurs in der Schule?«
»Ich hätte alle Hände voll zu tun gehabt, um Mama wiederzubeleben. Es war schlimm, Clare. Ein einziges Gebrüll.«
»War Sharon da?«
Alicia lacht bitter. »Soll das ein Scherz sein? Sharon und ich wollten hier nett miteinander plaudern, verstehst du, und im Wohnzimmer haben sich Mark und die Eltern angebrüllt. Nach einer Weile saßen wir nur noch da und haben zugehört.«
Alicia und ich wechseln einen Blick, der nur besagt Gibt es sonst noch was Neues ? Seit ewigen Zeiten hören wir unsere Eltern brüllen, mit sich, mit uns. Manchmal denke ich, wenn ich noch einmal mit ansehen muss, wie Mama weint, gehe ich für immer fort und komme nie wieder zurück. Im Moment würde ich am liebsten Henry schnappen und wieder nach Chicago fahren, wo niemand brüllt und so tun kann, als wenn alles in Ordnung, als wenn nichts gewesen wäre. Ein entnervter, dicker Mann im Unterhemd ruft James Stewart zu, er soll endlich aufhören, Donna Reed vollzuquatschen und sie einfach küssen. Ich kann ihm nur Recht geben, aber er tut es nicht. Stattdessen tritt er auf ihr Abendkleid, sie geht selbstvergessen weiter, und im nächsten Moment versteckt sie sich nackt hinter einem großen Hortensienbusch.
Eine Werbung für Pizza Hut kommt, und Alicia stellt den Ton ab. »Sag mal, Clare?«
»Ja?«
»Ist Henry schon mal hier gewesen?«
Oje. »Nein, nicht dass ich wüsste, wieso?«
Sie rutscht unruhig herum und blickt kurz zur Seite. »Wenn ich dir das erzähle, hältst du mich wahrscheinlich für bescheuert.«
»Was?«
»Weißt du, mir ist da eine komische Sache passiert. Es ist lange her, ich war, na, ungefähr zwölf, und sollte eigentlich Cello üben, aber dann fiel mir ein, dass ich kein sauberes Hemd für dieses Vorspiel oder was das war hatte, Etta und alle waren irgendwo unterwegs, bis auf Mark, der eigentlich Babysitter spielen
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