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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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sollte, aber er war in seinem Zimmer und rauchte Bong oder was auch immer... Jedenfalls ging ich runter in die Waschküche, wo ich mein Hemd suchte, und da hörte ich ein Geräusch, du weißt schon, wie wenn die Tür auf der Südseite vom Keller aufgeht, die in den Raum mit den Fahrrädern führt, so ein leichtes Zischen. Erst dachte ich, es ist Peter. Ich stehe also in der Tür zur Waschküche, horche ein bisschen, und da geht die Tür zum Fahrradkeller auf, und Clare, du wirst es nicht glauben, da war ein total nackter Mann, der genauso aussah wie Henry.«
    Ich fange an zu lachen, aber es klingt falsch. »Also wirklich.«
    Alicia grinst. »Siehst du, ich wusste, du würdest mich für bescheuert halten. Aber ich schwöre, es ist wahr. Der Kerl guckt nur ein bisschen überrascht, verstehst du, ich meine, mir fällt die Kinnlade runter und ich überlege, ob er mich, na ja, vergewaltigen, umbringen oder sonst was will, und er schaut mich bloß an und sagt, >Oh, hi, Alicia<, geht in den Leseraum und macht die Tür zu.«
    »Mmh?«
    »Ich renne also nach oben, hämmere gegen Marks Tür, und er sagt, ich soll verduften, bis ich ihn schließlich dazu bringe, die Tür zu öffnen, und er so stoned ist, dass es eine Weile dauert, bis er kapiert, wovon ich rede, und dann glaubt er mir natürlich nicht, aber endlich geht er doch mit nach unten und klopft an die Tür zum Leseraum, wir haben beide große Angst, es ist wie in den Detektivromanen von Nancy Drew, weißt du, in denen man immer denkt, >Die Mädchen sind echt dumm, wieso rufen sie nicht einfach die Polizei<, aber es tut sich nichts, und dann stößt Mark die Tür auf und keiner ist drin, und er ist sauer auf mich, weil, na ja, er tut, als wenn ich alles erfunden hätte, aber dann überlegen wir, dass der Mann vielleicht nach oben gegangen ist, also rennen wir beide in die Küche und setzen uns ans Telefon, neben uns auf der Anrichte Nells großes Schneidemesser.«
    »Wieso hast du mir das nie erzählt?«
    »Ach, als alle zu Hause waren, kam ich mir albern vor, und ich wusste, Daddy würde deswegen ein Mordstheater veranstalten, und es war ja nichts passiert. Aber lustig war es auch nicht, und ich hatte keine Lust, darüber zu reden.« Alicia lacht. »Einmal wollte ich von Grandma wissen, ob es Geister im Haus gibt, aber sie meinte, nicht dass sie wüsste.«
    »Und dieser Kerl oder Geist sah aus wie Henry?«
    »Ja! Ich schwöre, Clare, ich bin fast gestorben, als ihr hier wart und ich ihn sah, ich meine, das ist er! Auch die Stimme ist die gleiche. Gut, der im Keller hatte kürzere Haare, er war auch älter, vielleicht um die vierzig...«
    »Aber wenn der Mann vierzig war, und die Sache fünf Jahre zurückliegt... Henry ist erst achtundzwanzig, dann wäre er damals also dreiundzwanzig gewesen, Alicia.«
    »Ach, Clare, es ist zu komisch. Hat er einen Bruder?«
    »Nein. Und sein Dad sieht ihm auch nicht sehr ähnlich.«
    »Vielleicht war es, du weißt schon, astrale Projektion oder so.«
    »Oder er ist durch die Zeit gereist«, schlage ich lächelnd vor.
    »Ja, klar, natürlich. Gott, wie absurd.« Der Bildschirm wird kurz dunkel, dann sind wir wieder bei Donna im Hortensienbusch und Jimmy Stewart, der sich ihr, mit ihrem Bademantel über einem Arm, langsam nähert. Er ärgert sie und sagt, manch einer würde Eintritt zahlen für diesen Anblick. Der Schuft, denke ich, und werde rot bei dem Gedanken an die viel schlimmeren Sachen, die ich Henry bezüglich des Themas Kleidung und Nacktheit schon gesagt und angetan habe. Dann aber rollt ein Auto heran, und Jimmy Stewart wirft Donna ihren Bademantel zu. »Dein Vater hat einen Schlaganfall gehabt!«, sagt jemand aus dem Auto, und schon ist er fort, dreht sich kaum noch einmal nach Donna Reed um, die hilflos und allein in ihrem Laubkostüm dasteht. Mir steigen Tränen in die Augen. »Mann, Clare, ist ja gut, er kommt doch wieder«, erinnert mich Alicia. Ich muss lächeln, und wir machen es uns bequem und sehen uns an, wie der böse Mr Potter den armen Jimmy Stewart dazu zwingt, seinen Traum vom College aufzugeben, um eine marode Spar- und Darlehensklitsche zu leiten. »Mistkerl«, sagt Alicia.
    »Mistkerl«, stimme ich ihr zu.
     
    Henry: Mir dreht sich der Magen, als wir von der kalten Nachtluft in die Wärme und Helligkeit der Kirche treten. Ich habe noch nie eine katholische Messe besucht. Der letzte mehr oder minder religiöse Gottesdienst, an dem ich teilgenommen habe, war die Beerdigung meiner Mutter. Wie ein Blinder

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