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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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immerhin kommt er. Er geht nach hinten und dann den Gang entlang und zwängt sich neben mich. »Die Messe ist vorbei, ziehet hin in Frieden«, sagt Pfarrer Compton. »Amen«, erwidern wir im Chor. Kaum haben sich die Ministranten wie ein Fischschwarm um den Pfarrer versammelt, schreiten sie schwungvoll den Gang entlang, und wir hinter ihnen her. Ich höre, wie Sharon Henry fragt, ob alles in Ordnung ist, aber ich kann seine Antwort nicht verstehen, weil Helen und Ruth uns abfangen, und ich Henry vorstelle.
    Helen säuselt: »Aber wir kennen uns doch!«
    Henry blickt mich erschreckt an. Ich sehe Helen an und schüttle den Kopf, aber sie grinst nur hämisch. »Na, vielleicht auch nicht«, sagt sie. »Freut mich sehr... Henry.« Ruth hält Henry schüchtern die Hand hin. Zu meiner Überraschung hält er sie eine Weile und sagt dann »Hallo, Ruth«, bevor ich sie vorgestellt habe, soweit ich es aber beurteilen kann, erkennt sie ihn nicht. Laura gesellt sich zu uns, und Alicia, die mit ihrem Cellokasten durch die Menge holpert, nähert sich uns ebenfalls. »Kommt morgen zu mir«, sagt Laura. »Meine Eltern brechen um vier zu den Bahamas auf.« Wir nehmen die Einladung alle begeistert an; Jahr für Jahr fahren Lauras Eltern, sobald die Geschenke ausgepackt sind, an irgendeinen exotischen Ort, und kaum ist ihr Auto hinter der Auffahrt verschwunden, rücken wir regelmäßig bei ihr an. Unter einem Chor von »Frohe Weihnachten!«, gehen wir auseinander, und auf dem Weg durch die Seitentür der Kirche zum Parkplatz sagt Alicia: »Grrr, ich wusste es!« Über allem liegt eine dicke Schneedecke, eine neue weiße Welt ist entstanden. Ich bleibe stehen und blicke auf die Bäume, die Autos, über die Straße in Richtung See, der am Strand, tief unterhalb der Kirche, unsichtbar an den Steilhang schlägt. Henry steht neben mir und wartet. Dann sagt Mark: »Komm schon, Clare«, und ich gehe weiter.
     
    Henry: Gegen 1.30 Uhr in der Nacht kommen wir nach Meadowlark zurück. Auf der ganzen Heimfahrt hat Philip mit Alicia wegen ihres >Fehlers< am Anfang von Stille Nacht geschimpft, aber sie saß nur stumm da, sah aus dem Fenster auf die dunklen Häuser und Bäume. Nun geht jeder, nachdem er ungefähr fünfzig Mal >frohe Weihnachten< gewünscht hat, oben in sein Zimmer, außer Alicia und Clare, die in einem Raum am Ende des Flurs im Erdgeschoss verschwinden. Ich überlege, was ich mit mir anfangen soll, und folge ihnen dann spontan.
    »... ein totaler Arsch«, sagt Alicia, als ich den Kopf zur Tür hineinstrecke. In der Mitte des Zimmers steht ein gewaltiger Billardtisch, der vom grellen Licht einer darüber hängenden Lampe überflutet wird. Clare setzt die Kugeln im Dreieck auf, und Alicia geht im Dunkeln, am Rand des Lichtkegels, aufgeregt hin und her.
    »Also, wenn du ihn absichtlich ärgern willst, und er sich dann ärgert, verstehe ich nicht, warum du dich aufregst«, sagt Clare.
    »Er ist so selbstgefällig«, entgegnet Alicia und boxt mit beiden Fäusten in die Luft. Ich huste. Die beiden zucken zusammen, und dann sagt Clare: »Ach, Henry, Gott sei Dank. Ich dachte schon, du wärst Daddy.«
    »Willst du spielen?«, fragt mich Alicia.
    »Nein, ich schau lieber zu.« Neben dem Tisch steht ein Hocker, auf den ich mich setze.
    Clare reicht Alicia ein Queue. Sie reibt es mit Kreide ein und stößt so kräftig an, dass zwei Halbe in die Ecktaschen fallen. Alicia versenkt zwei weitere Kugeln, bevor sie das Loch mit einem Stoß über Bande und Fremdkugel knapp verfehlt. »Oje«, sagt Clare. »Das wird schwer.« Clare trifft eine leichte Ganze, die 2er-Kugel, die am Rand einer Ecktasche lag. Beim nächsten Stoß schießt sie die Weiße mit der 3er-Kugel ins Loch. Alicia fischt beide Kugeln heraus und legt sich die Weiße zurecht, bevor sie die Halben ohne große Anstrengung nacheinander versenkt. »Die Schwarze in die Seitentasche«, sagt Alicia an, und das war’s. »Aua«, stöhnt Clare. »Willst du wirklich nicht spielen?« Sie hält mir das Queue hin.
    »Komm schon, Henry«, fordert Alicia mich auf. »Hey, will einer von euch was trinken?«
    »Nein«, sagt Clare.
    »Was hast du zu bieten?«, frage ich. Alicia knipst ein Licht an, und hinten im Raum erscheint eine wunderschöne alte Bar. Alicia und ich zwängen uns hinter sie, und siehe da, es gibt so gut wie alles, was man sich in Form von Alkohol vorstellen kann. Alicia mixt sich einen Rum mit Cola. Ich zögere noch vor der Fülle, gieße mir aber schließlich einen strammen Whiskey

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