Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
unterwegs war. Schon damals war Brianne weniger hübsch gewesen. Wenn jemand sie ansprach, blickte sie finster drein und versteckte ihr Gesicht.
Eva las weiter. Sie spürte nichts als ein Gefühl des Versagens und musste sich vielleicht zum ersten Mal der Erkenntnis stellen, dass Brian junior wohl ins Silicon Valley ziehen musste, wo er mit Seinesgleichen leben und arbeiten konnte.
Ich finde es bedauerlich, dass du der Beerdigung deiner verstorbenen Schwiegermutter nicht beiwohnst. Mein Vater ist, und ich zitiere, »am Boden zerstört«. Ich habe auch mit Barbara Lomax gesprochen, der Leiterin der Psychologischen Studentenberatung, und sie meint, der Grund, warum du »unfähig« bist, das Bett zu verlassen, sei akute Platzangst, wahrscheinlich als Folge eines Kindheitstraumas.
Bemüht, die Stimmung aufzuheitern, lachte Alexander und sagte: »Hast du was Ekliges im Holzschuppen gefunden, Eva?«
Sie konnte nicht mitlachen. Die nächsten paar Sätze las sie leise, weil sie nicht wollte, dass Alexander sie hörte.
Miss Lomax betonte, sie hätte selbst erlebt, dass Leute innerhalb von nur sechs Wochen geheilt werden können. Trotzdem sind eine spezielle Diät, Selbstdisziplin und Mut erforderlich. Ich habe Barbara mitgeteilt, dass du meiner Meinung nach keinerlei Mut besitzt, da du zulässt, dass mein Vater unter deinem Dach herumhurt, und du dazu schweigst.
Eva konnte sich nicht länger beherrschen und schrie laut: »Er ist nicht unter meinem Dach! Er ist in seinem Scheißschuppen!« Dann las sie leise weiter.
Barbara erkundigte sich: »Empfinden Sie Wut auf Ihre Mutter?« Ich sagte ihr, in letzter Zeit könne ich es kaum ertragen, mich im selben Zimmer aufzuhalten wie meine Mutter.
Eva las den Satz noch mal. Und dann noch mal.
Was hatte sie falsch gemacht?
Sie hatte ihn gefüttert, gebadet, anständige Schuhe gekauft, war mit ihm zum Zahnarzt und zum Optiker gegangen, hatte mit ihm eine Lego-Rakete gebaut, war mit ihm in den Zoo gegangen und hatte sein Zimmer aufgeräumt. Er war mit einem Dampfzug gefahren, der Verbandskasten war stets griffbereit, und sie hatte während seiner Kindheit kaum einmal die Stimme gegen ihn erhoben.
Sie faltete den E-Mail-Ausdruck zur Hälfte zusammen, dann zu Vierteln, dann zu Achteln, dann zu Sechzehnteln, dann zu Zweiunddreißigsteln und Vierundsechzigsteln. Sie versuchte, den Zettel noch kleiner zu falten, gab auf und steckte sich den Klumpen Papier in den Mund. Obwohl es sich unangenehm anfühlte, konnte sie ihn nicht wieder ausspucken. Alexander reichte ihr beiläufig ein Glas Wasser, und sie begann den Klumpen aufzuweichen wie eine Kuh beim Wiederkäuen, bis er langsam zu Brei wurde.
Mit der Zunge drückte sie den Klumpen in ihre Wange und sagte zu Alexander: »Ich brauche ein Rollo für dieses Fenster. Ein weißes Rollo.«
Am Abend vor der Beerdigung seiner Mutter besuchte Brian Eva. Er bat sie, ihren Entschluss zu überdenken, dem Gottesdienst und der anschließenden Bestattung fernzubleiben.
Eva versicherte Brian, dass sie Yvonne gern gehabt hatte und während der Beerdigung an sie denken würde, sie das Bett jedoch nicht verlassen könne.
Brian sagte: »Und wenn es Ruby wäre, deine eigene Mutter? Würdest du für sie aufstehen?«
»Die Frage kann ich dir nicht beantworten«, sagte Eva.
»Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sie die ganze Zeit auf den kalten Küchenfliesen gelegen hat«, sagte Brian weinerlich.
Eva streichelte seine Hand. »Sie hatte die moderne Welt sowieso satt, Brian. Sie konnte nicht begreifen, wieso im Fernsehen Pornografie läuft. Als sie anfing fernzusehen, trug der Nachrichtensprecher noch Smoking.«
»Glaubst du, sie hatte ein gutes Leben?«
Eva sagte vorsichtig: »So gut, wie es eben sein kann, wenn man in eine Männerwelt geboren wird, und abgesehen davon, dass dein Vater ihr verboten hat, Hosen zu tragen.«
Er sagte: »Weißt du noch, die Valentinstagskarten, die sie jedes Jahr bekam?«
»Unglaublich viele.«
»Die hat sie auch selbst geschrieben.«
»Sie muss furchtbar einsam gewesen sein, Bri. Sie ist nie über den Tod deines Vaters hinweggekommen.«
»Warst du einsam, wenn ich bei der Arbeit war?«, fragte Brian.
Eva sagte: »Ich war einsamer, wenn du nach Hause kamst und wir nebeneinander auf dem Sofa saßen.«
»Aber wir müssen doch auch gute Zeiten gehabt haben.«
»Müssen wir wohl, aber ich kann mich nicht erinnern.«
Brian sagte leicht gereizt: »Die Ferien. Camping in Wales. Florida.«
Eva hätte Brian
Weitere Kostenlose Bücher