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Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)

Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)

Titel: Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Townsend
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richtig?«
    Eva sagte: »Ja.«
    Ruby setzte sich auf die Bettkante und hielt Evas Hand. »Sie war als Kind immer so gesund, Doktor. Ich habe sie zweieinhalb Jahre gestillt. Hat mir meine armen Titten ruiniert. Sehen aus wie Ballons, aus denen die Luft raus ist.«
    Dr. Bridges musterte Ruby mit fachmännischem Blick. »Überaktive Schilddrüse«, dachte er, »und rotes Gesicht – wahrscheinlich Trinkerin. Und diese schwarzen Haare! Was denkt sie sich dabei?« Zu Eva sagte er: »Ich würde Sie mir gern mal ansehen.« Dann wandte er sich an Ruby: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, draußen zu warten?«
    Ruby war gekränkt und enttäuscht. Sie hatte sich so darauf gefreut, den Doktor über die Einzelheiten von Evas Krankengeschichte aufzuklären. Widerwillig ging sie in den Treppenflur: »Wenn Sie fertig sind, wartet eine Tasse Tee auf Sie, Doktor.«
    Dr. Bridges wandte seine Aufmerksamkeit wieder Eva zu. »Ihre Mutter sagt, Sie sind gesund …« Er zögerte und fügte hinzu. »Körperlich.« Dann fuhr er fort: »Auf Ihrer Karteikarte habe ich gesehen, dass Sie seit fünfzehn Jahren nicht bei mir waren. Können Sie mir erklären, warum Sie seit einer Woche im Bett liegen?«
    »Nein, ich kann es nicht erklären«, sagte Eva. »Ich bin müde – aber das sind alle, die ich kenne.«
    »Wie lange fühlen Sie sich schon so?«, fragte der Arzt.
    »Seit siebzehn Jahren. Seit der Geburt der Zwillinge.«
    »Ah, ja«, sagte er, »die Zwillinge. Begabte Kinder, nicht wahr?«
    Vom Treppenabsatz meinte Ruby: »Sie sollten mein Wohnzimmer sehen, alles voller Mathepokale, die die beiden gewonnen haben.«
    Das war keine Überraschung für den Doktor, auf den die Biber-Zwillinge schon immer einen ziemlich autistischen Eindruck gemacht hatten. Allerdings mischte Dr. Bridges sich prinzipiell nicht ein. Wenn seine Patienten ohne Beschwerden waren, ließ er sie in Ruhe.
    Ruby, die jetzt vorgab, den Staub vom Treppengeländer zu wischen, während sie durch den Türspalt spähte, sagte: »Mein Blutdruck ist furchtbar. Das letzte Mal, als er gemessen wurde, sagte der schwarze Arzt im Krankenhaus, er hätte so etwas noch nie gesehen – er ist niedriger als ein Tausendfüßlerarsch. Er hat mit seinem Handy ein Foto von den Werten gemacht.« Sie stieß die Tür auf und fuhr fort: »Tut mir leid, aber ich muss mich hinsetzen.« Sie schwankte zum Bett. »Es ist ein Wunder, dass ich noch da bin. Ich war schon zwei- oder dreimal tot.«
    Eva sagte gereizt: »Also, wie oft bist du denn jetzt schon gestorben? Zweimal oder dreimal? Du solltest deinen eigenen Tod nicht so auf die leichte Schulter nehmen, Mum.«
    »Der Tod ist nicht so schlimm, wie behauptet wird«, sagte Ruby. »Man geht einfach durch einen Tunnel auf das goldene Licht zu, stimmt’s, Doktor?« Sie wandte sich an Dr. Bridges, der gerade von Evas ausgestrecktem Arm Blut abnahm.
    Er sagte, während er begann, das Blut in eine Spritze laufen zu lassen: »Der Tunnel ist eine Illusion, die durch zerebrale Anoxie verursacht wird. Der darauf einsetzende Erwartungsprozess des Gehirns sorgt für das weiße Licht und das Gefühl des Friedens.« Er blickte in Rubys verständnisloses Gesicht und sagte: »Das Gehirn will nicht sterben. Man nimmt an, das helle Licht ist Teil des Alarmsystems des Gehirns.«
    Ruby fragte: »Und warum hab ich dann im Tunnel James Blunt ›You’re Beautiful‹ singen hören?«
    Dr. Bridges murmelte: »Vielleicht eine rudimentäre Erinnerung.« Er füllte Evas Blut von der Spritze in drei kleine Röhrchen. Er beschriftete jedes und stellte sie in seine Tasche. Er fragte Eva: »Haben Sie in der vergangenen Woche irgendwelche Schmerzen gespürt?«
    Eva schüttelte den Kopf. »Keine eigenen Schmerzen, nein. Aber, und ich weiß, das klingt verrückt, ich scheine sehr empfänglich für Schmerz und Traurigkeit anderer Menschen. Das ist sehr strapaziös.«
    Dr. Bridges war nur unwesentlich irritiert. Seine Praxis befand sich ganz in der Nähe der Universität. Folglich hatte er reichlich New-Age-Patienten, die glaubten, Mondgestein oder Kristalle könnten sie von Genitalwarzen, Pfeifferschem Drüsenfieber und anderen Krankheiten heilen.
    Ruby sagte: »Sie ist kerngesund, Doktor. Das ist dieses Empty-Nest-Syndrom.«
    Eva warf das Kissen weg und schrie: »Seit dem Tag ihrer Geburt habe ich die Tage gezählt, bis sie endlich ausziehen! Es hat sich angefühlt, als hätten zwei Aliens von mir Besitz ergriffen. Alles, was ich wollte, war, allein ins Bett gehen und dort so lange

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