Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
er da war. Er klang wie in einem Trickfilm – als würde der Auspuff über den Boden schleifen – und offenbar war der Motor nicht in Ordnung. Es brauchte vier Versuche, bis die Fahrertür zu war. Eva kniete sich aufs Bett und sah aus dem Fenster.
Ein großer, schlanker Mann mit ergrauten Dread- locks, die ihm bis zur Taille reichten, und gut sitzenden Kleidern in dezenten Farben nahm eine Werkzeugtasche aus dem Lieferwagen. Als er sich umdrehte, sah sie, dass er sehr attraktiv war. Sie fand, er sah aus wie ein afrikanischer Aristokrat. Er hätte für die Skulpturen im Schaufenster des Ethnoladens in der Innenstadt Modell stehen können.
Er klingelte.
Sie hörte, wie Brian, laut und jovial, Alexander bat, den Seiteneingang zu benutzen. »Kümmere dich nicht um das Durcheinander, meine Alte feiert krank!«
Als Alexander aus ihrem Blickfeld verschwand, fuhr sich Eva mit den Fingern durchs Haar und versuchte, ihm Volumen zu geben. Eilig stand sie auf, breitete wieder das Bettlaken über den Boden und ging ins Bad, wo sie sich schminkte und mit Chanel N o 5 einsprühte.
Dann, nachdem sie ihr Bett wieder erreicht hatte, zog sie das Laken hoch und wartete.
Als Eva Alexanders Stimme im Flur hörte, rief sie: »Oben, zweite Tür rechts.«
Er lächelte zum Gruß, als er sie sah. »Bin ich hier richtig?«
»Ja«, sagte sie und deutete auf den Schrank.
Er sah hin und lachte. »Ja, ich verstehe, warum Sie den loswerden wollen. Sieht aus wie ein Holz-Stonehenge.« Er öffnete die Türen und sah hinein.
Brian und Evas Kleider waren noch drin.
»Wollen Sie ihn nicht ausräumen?«
»Nein«, sagte sie. »Ich muss im Bett bleiben.«
»Tut mir leid, ich wusste nicht, dass Sie krank sind.«
Sie sagte: »Ich bin nicht krank. Ich ziehe mich zurück von der Welt … denke ich.«
»Ja? Tja, das macht jeder auf seine Weise. Sie bleiben also im Bett?«
Sie sagte: »Ich muss.«
»Und wo soll ich die Sachen hintun?«
Es dauerte Stunden, bis ihre Seite des Schranks leer geräumt war.
Sie entwickelten ein System. Alexander holte vier große Müllsäcke aus der Küche. Einen für den Recyclinghof, einen für die Altkleidersammlung, einen dritten für E-Bay und den letzten für den Secondhandladen, den Alexanders Schwester im neuerdings angesagten Deptford betrieb. Für Schuhe gab es einen Extrasack.
Es dauerte so lange, weil jedes Kleidungsstück eine Erinnerung wachrief. Da war ihre letzte Schuluniform – grauer Faltenrock, weiße Bluse und grüner Blazer mit roter Borte –, die sie getragen hatte, bis sie von der Schule abgegangen war. Der Anblick schockierte Eva. Sie war wieder sechzehn, die schwere Hand des Versagens auf der einen Schulter, eine wuchtige Tasche mit Schulbüchern auf der anderen.
Die Uniform kam auf den E-Bay-Stapel.
Alexander zog ein Abendkleid aus dem Schrank. Es war aus schwarzem Chiffon und schulterfrei.
»Also, das gefällt mir«, sagte er.
»Mein erster Sommerball mit Brian an der Universität.« Sie schnupperte am Stoff und roch Patchouli-Öl, Schweiß und Zigaretten. Sie konnte sich nicht entscheiden, auf welchen Stapel es sollte.
Alexander nahm ihr die Entscheidung ab. Er legte es in den Secondhandladen-Sack. Von da an war er es, der die Kleider sortierte.
Es gab Strandkleider mit Nackenbändern, die sie am Meer getragen hatte. Es gab jede Menge Jeans: Boot Cut, gerade geschnitten, Schlagjeans, weiße Jeans, blaue, schwarze. Er weigerte sich, ein cremefarbenes Chiffon-Abendkleid auszusortieren, das sie bei einem Dinner zu Ehren von Sir Patrick Moore getragen hatte, bis sie ihn auf den großen roten Fleck aufmerksam machte, an dem Brians nächtliches Ungeschick mit einem Käse- Rote-Beete-Sandwich schuld war.
Alexander sagte: »Sie sind zu voreilig, Mrs. Biber, meine Schwester vollbringt mit Färbemittel und Nähmaschine Wunder. Das Mädchen kann zaubern.«
Eva zuckte die Schultern und sagte: »Machen Sie damit, was Sie wollen.«
Es gab Abendschuhe von Christian Dior, die Brian Eva mit Steuernachlass gekauft hatte, als sie zum ersten Mal in Paris waren.
»Die sind zu gut, um sie wegzuwerfen«, sagte Alexander. »Sehen Sie sich die Nähte an. Wer hat die gemacht? Eine Schar Elfen?«
Eva schauderte bei der Erinnerung daran, wie sie in ihren schönen neuen Schuhen mit Mieder und Strümpfen in der schmuddeligen, kalten Mansarde am Rive Gauche auf und ab hatte stolzieren müssen.
»Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt«, sagte sie. »Alle meine Sachen müssen weg. Ich fange neu
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