Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
im Zeitungsladen wieder angehen. Er überquerte die Straße und ging auf den Laden zu. Mr. Barthi blieb gerade noch genug Zeit, das Schild umzudrehen und den Riegel vorzuschieben.
Brian pochte gegen die Tür und rief: »Mr. Barthi! Sind Sie da? Ich habe meinen New Scientist vergessen.«
Mr. Barthi kauerte hinter der Ladentheke.
Brian rief durch den Briefkasten: »Barthi, machen Sie auf, ich weiß, dass Sie da sind!«
Als niemand antwortete, trat Brian einmal gegen die Tür, dann drehte er sich um und ging ohne seine Zeitschrift nach Hause, um sich dem dortigen Chaos zu stellen.
Erst nach fünf Minuten wagte es Mr. Barthi, wieder über dem Tresen aufzutauchen.
Brian erzählte Eva später an jenem Abend, dass er seine wissenschaftlichen Zeitschriften in Zukunft abonnieren werde. Er sagte: »Barthi ist übergeschnappt. Erst gähnt er mir ins Gesicht, und dann fängt er an zu heulen. Er verdient uns nicht als Stammkunden.«
Eva nickte, obwohl sie gar nicht richtig zuhörte. Sie dachte über Brian junior und Brianne nach.
Die beiden wussten, dass sie nicht mehr ans Telefon ging, aber es gab ja andere Kommunikationsformen.
*
Ho saß in seinem Zimmer und schrieb einen Brief an seine Eltern. Solche Neuigkeiten konnte er ihnen nicht mailen, er musste sie sanft vorbereiten – wenn sie den Brief mit seiner Handschrift sahen, würden sie wissen, dass er ihnen etwas Wichtiges zu sagen hatte. Er schrieb:
Liebste Mutter, liebster Vater,
ihr seid ausgezeichnete Eltern. Ich liebe und verehre euch. Es schmerzt mich, euch sagen zu müssen, dass ich kein guter Sohn war.
Ich habe mich in ein englisches Mädchen namens Poppy verliebt. Ich habe ihr meine Liebe gegeben, meinen Körper und alles, was ich besitze, einschließlich des Geldes, für das ihr beide in der Croc-Fabrik so hart gearbeitet habt, um mich auf eine englische Universität zu schicken.
Poppys Eltern liegen beide an einem Ort namens Dundee auf der Intensivstation. Sie hat ihr ganzes Geld ausgegeben, deshalb habe ich ihr mein Geld gegeben, bis nichts mehr übrig war. Gestern fragte ich sie, wann sie mir das Geld zurückzahlen kann und sie weinte und sagte: »Nie.«
Mutter und Vater, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann nicht ohne sie leben. Bitte, urteilt nicht zu streng über sie. Poppys Eltern sind reiche, wichtige Leute, die mit ihrem Kleinflugzeug an den Kreidefelsen von Dover zerschellt sind. Sie liegen beide im Koma. Poppy sagt, die Ärzte in England sind korrupt, wie bei uns zu Hause. Und sie würden ihre Eltern nur am Leben erhalten, wenn man ihnen genug bezahlt. Sonst schalten sie die Geräte ab.
Würdet ihr mir bitte mehr Geld schicken? Überlegt ihr immer noch, die Wohnung zu verkaufen? Oder euch eure Rente auszahlen zu lassen?
Poppy sagt, am besten wäre eine internationale Zahlungsanweisung, ausgestellt auf Poppy Roberts. Bitte helft mir, liebe Eltern – wenn ich ihre Liebe verliere, bringe ich mich um.
Ich hoffe, es geht euch gut.
Schöne Grüße von eurem Sohn,
Ho
Ho ging nach unten und steckte den Brief in eines dieser roten zylindrischen Gebilde, die den Engländern als Briefkästen dienen. Er war auf dem Weg zurück zum Wohnheim, als ihm Brian junior begegnete, der, während er ging, wie gewöhnlich, gleichzeitig ein Buch mit Gleichungen las und über Kopfhörer einem MP3-Player lauschte. Ein Musikfetzen war schwach zu hören – für Ho klang es wie Bach.
Brian junior nahm Hos Anwesenheit zur Kenntnis, indem er hektisch blinzelte und so etwas Ähnliches wie »Hallo« grunzte.
Ho sah zu Brian junior auf und wünschte, er wäre so groß wie er und hätte so ein hübsches Gesicht. Außerdem hätte er gern so dickes blondes Haar gehabt, und solche Zähne! Und wie war es möglich, dass Brian juniors billige, schäbige Kleider an ihm so gut aussahen?
Wäre Ho Engländer gewesen, hätte er die Kleider eines Gentlemans getragen. Burberry-Tweed und Hemden von Savile Row. Schuhe von Church’s. Seine Eltern hatten ihm Kleidung für England gekauft, aber es waren Proletarier-Klamotten. Es war äußerst schwierig, in Leeds ein Fußballtrikot von Manchester United zu tragen. Fremde Menschen bepöbelten und beschimpften ihn. Zum Glück hatte er Poppy.
Er sagte: »Brian junior. Kann ich mit dir über Geld reden?«
»Geld?«, wiederholte Brian junior, als hätte er das Wort noch nie gehört. Brian junior hatte sich noch nie im Leben Sorgen über Geld gemacht, und er ging davon aus – er war absolut sicher –, dass er eines Tages reich
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