Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
war aufgeregt wie ein Kind und hatte die Flugbahn und Höhe jedes Geschosses mit dem stolzen Blick eines Vaters verfolgt, dessen Kind die ersten Schritte macht.
Jetzt sah sich Eva in ihrem weißen Zimmer um und dachte: »Aber das war damals und jetzt ist jetzt. Ich muss absolut gar nichts machen, außer mir die Lichter am Himmel anzusehen.«
25
Eva lag seit sieben Wochen im Bett und hatte sechs Kilo abgenommen. Ihre Haut war schuppig, und die Haare schienen ihr auszugehen.
Manchmal brachte Brian ihr Tee und Toast, wobei er jedes Mal wehleidig seufzte. Oft war der Tee kalt und der Toast halbgar, doch sie dankte ihm jedes Mal überschwänglich.
Sie brauchte ihn.
An den Tagen, wo er sie morgens vergaß oder es zu eilig hatte, um ans Frühstück zu denken, hungerte sie. Inzwischen verstieß es gegen Evas eigene Regeln, Essen im Zimmer aufzubewahren. Und das einzige Getränk, das sie sich gestattete, war Wasser.
Eines Tages unternahm Ruby den Versuch, Eva zu einem Energy-Drink zu überreden: »Das bringt dich wieder auf die Beine. Als ich Lungenentzündung hatte, auf der Kippe zwischen Leben und Tod – ich war schon am Tunneleingang, ich konnte das Licht am Ende sehen –, kam mich dein Vater mit einer Flasche Lucozade besuchen. Ich trank einen Schluck und, na, ich war wie Frankensteins Monster, nachdem es der Blitz getroffen hat. Ich stand auf und konnte wieder laufen!«
Eva sagte: »Dann hatte das mit den Antibiotika, die sie in dich reingepumpt haben, gar nichts zu tun?«
»Nein!«, schnaubte Ruby. »Mein Arzt, Mr. Briars, hat zugegeben, dass er mit seinem Latein am Ende war. Er hatte alles versucht, sogar Beten.«
Eva sagte: »Also hat Mr. Briars – der zehn Jahre studiert, Vorlesungen gehalten und diverse Arbeiten über Lungenentzündung veröffentlicht hat – versagt? Während ein Schluck Brause dich ins Leben zurückgeholt hat?«
Rubys Augen glänzten. »Ja! Lucozade hat mich gerettet.«
In der Anfangszeit von Evas selbst auferlegter Haft hatte ihre Schwiegermutter Yvonne noch alle zwei Tage gekocht. Ihre Hausmannskost bestand aus einem einfachen, guten Stück Fleisch und zwei Sorten Gemüse, und sie war überzeugt, dass eine großzügige Portion Maggie jede Mahlzeit zu einer Delikatesse machte. Evas saubere Teller machten Yvonne nie misstrauisch, und sie glaubte, dass Eva endlich ihre Vorliebe für exotisches Essen zugunsten ihrer hervorragenden traditionellen englischen Hausmannskost aufgegeben hatte.
Yvonne sollte nie erfahren, dass ihr Essen (zubereitet mit missmutigen Seufzern, zerschmettertem Porzellan und hingepfefferten Pfannen) an eine Fuchsfamilie verfüttert wurde, die hinter einem verwilderten Lorbeerbusch in Evas Vorgarten Quartier bezogen hatte. Diese unerhört zutraulichen Wesen, die es leid waren, sich von Risotto, Taramas und ähnlichen Essensresten der ursprünglich und hauptsächlich gutbürgerlichen Anwohner in Evas Straße zu ernähren, rissen sich um Yvonnes Koteletts und Hackbraten. Auch sie schienen die traditionelle englische Küche zu bevorzugen.
Gegen sieben Uhr an jedem Yvonne-Abend begab sich Eva ans Fußende des Bettes und kippte den Teller aus dem offenen Fenster. Sie liebte es zuzusehen, wie die Füchse aßen und sich die Schnauzen sauber leckten. Manchmal meinte sie gar, die Füchsin würde am Haus hinaufsehen und sie in einer Geste weiblicher Solidarität grüßen. Doch das bildete sich Eva nur ein.
Einmal wunderte sich Yvonne, als sie ein Stück in Speck gebratene Leber auf der Veranda fand, und eine ihrer hausgemachten Frikadellen auf dem Bürgersteig vor Evas Haus.
Eines Tages, Mitte November, kam Alexander auf dem Weg zu einem Job vorbei, um Eva zu besuchen.
Er sagte: »Weißt du, dass du allmählich aussiehst wie ein Skelett?«
»Ich bin nicht auf Diät«, sagte Eva.
»Du brauchst etwas Gutes im Bauch, etwas, das dir schmeckt. Schreib eine Liste, und ich kläre das mit deinem Mann.«
Eva genoss es, an Sachen zu denken, die ihr schmeckten. Sie ließ sich alle Zeit der Welt, aber schließlich hatte sie eine überraschend kleine und bescheidene Auswahl beisammen.
»Sie würde schon aufstehen, wenn du ihr Feuer unterm Hintern machst«, sagte Ruby zu Brian. »Du bist zu nachsichtig mit ihr.«
»Sie macht mir Angst«, gestand Brian. »Manchmal, wenn ich von meinem Buch oder meinem Teller aufsah, hat sie mich so komisch angeguckt.«
Sie schoben einen Einkaufswagen durch Morrisons und suchten die Zutaten für Brians Abendessen zusammen. Brian hatte Evas Liste
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