Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
Barry. Und denken Sie an den Zugführer, der wird es sein Leben lang mit sich rumtragen. Für die Passagiere wären Sie nichts weiter als eine Stunde Verspätung, während man die Gleise nach Ihren Gliedmaßen absucht. Denken Sie an den fremden Menschen, der Ihren abgetrennten Kopf in einer Plastiktüte herumträgt.«
Brian junior sagte: »Das machen die?«
»Ich habe eine Dokumentation gesehen«, sagte Eva.
Barry sagte: »Also, nicht der Zug?«
»Nein«, sagte Eva. »Definitiv nicht der Zug.«
Barry sagte: »Ich hab daran gedacht, mich zu erhängen. Ich habe einen Balken …«
»Nein«, sagte Eva bestimmt. »Da können Sie minutenlang hängen. Nach Atem ringen. Man bricht sich nicht immer das Genick, Barry.«
»Gut, dann streichen wir das von der Liste. Was halten Sie von Ertrinken?«
»Nein. Ich hatte eine Freundin namens Virginia Woolf«, log Eva, »die ihre Taschen mit Steinen füllte und ins Meer ging.«
Barry fragte: »Hat es funktioniert?«
»Nein«, log sie weiter. »Es hat nicht funktioniert. Jetzt ist sie froh, dass es nicht funktioniert hat.«
»Was ist mit Paracetamol?«, sagte Barry.
»Nicht schlecht«, sagte Eva, »aber wenn man überlebt, stirbt man unter Umständen vierzehn Tage später an einer Lebervergiftung einen qualvollen Tod. Oder die Nieren versagen und man braucht eine Dialyse. Vier Stunden täglich, fünfmal die Woche, wobei Ihr eigenes Blut vor Ihren Augen durch Plastikschläuche läuft.«
Barry sagte: »Klingt, als wär’s einfacher zu leben.« Er lachte trocken auf.
Brian junior sagte missmutig: »Ich könnte Ihnen den Schädel mit diesem Kricketschläger zertrümmern.«
Wieder lachte Barry. »Nein, ich denke, ich verzichte, danke.«
Eva sagte: »Sie können ebenso gut leben, Barry. Was steht als Zweites auf Ihrer Liste?«
»Wie man wahre Freunde gewinnt«, sagte Barry.
Eva fragte: »Rauchen Sie?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist eine widerliche Angewohnheit.«
»Sie sollten damit anfangen, dann können Sie sich zu den ganzen kleinen Grüppchen vor Kneipen und Clubs dazustellen. Sie wären Teil einer verachteten Minderheit, das schweißt zusammen. Sie würden schnell Freunde finden. Und Sie würden die Kippen ja nicht wirklich rauchen müssen, nur anzünden und zwischen den Fingern halten.«
Barry wirkte skeptisch.
Eva sagte: »Die Idee gefällt Ihnen nicht?«
»Nicht so richtig.«
Eva blaffte: »Okay, dann kaufen Sie sich einen Hund.«
Brian junior sagte: »Hast du einen Computer, Alter?«
Barry freute sich wahnsinnig, dass ihn jemand »Alter« nannte. Das war ihm noch nie passiert: »Ja, ich hab einen Laptop, aber ich benutze ihn nur für DVDs.«
Brian junior war empört. »Das darf doch nicht wahr sein! Das ist, als würde man nur den großen Zeh ins Wasser halten, statt schwimmen zu gehen. Da wartet eine andere Welt, Barry. Und ich rede nicht vom Deep Web. Selbst als Anfänger hast du Zugriff auf unglaubliche Dinge, die dein Leben verändern werden. Es sind Millionen von Typen wie du online, du könntest mit ihnen Kontakt aufnehmen. Nur ein paar Tage und du siehst dein Leben mit ganz anderen Augen. Da draußen gibt es Menschen, die deine Freunde sein wollen.«
»Ich wüsste nicht, wo ich anfangen soll«, sagte Barry. »Ich hab noch das Buch, das dem Computer beilag, aber ich kapier das alles nicht.«
Brian junior ermutigte ihn: »Das ist ganz leicht! Man drückt ein paar Tasten, und schon ist es da – das Internet, die Welt, direkt vor deiner Nase.«
»Was für Tasten?«
Brian junior war Barrys Starrsinn allmählich leid. »Ich kann’s dir beibringen, dir ein paar Internetseiten zeigen, aber lass mich mit diesem ganzen Emo-Selbstmord- Scheiß in Ruhe. Ich würde dir ja helfen, aber ich hab es so satt, immer die gleiche Geschichte zu hören. Fett, schlechte Zähne, keine Freunde, kein Mädchen beim Abschlussball. Ende.«
Barry fuhr sich mit der Zunge über die kariösen Zähne.
Eva sagte zu Barry: »Beachten Sie Brian junior und seine Schwester gar nicht, sie leben in einer sehr kleinen Welt namens Internet, wo Zynismus die Norm ist und Grausamkeit den Humor ersetzt.«
Brian junior stimmte ihr zu: »Das ist nicht zu leugnen.«
Eva sagte: »Ich kann Ihnen noch einen praktischen Rat geben, wenn Sie wollen.«
Barry nickte. »Ich nehme alles, was ich kriegen kann.«
»Wenn Sie im Bad sind«, sagte Eva, »waschen Sie sich gründlich die Haare und benutzen Sie eine Spülung. Und gehen Sie zum Friseur. Bitten Sie ihn um einen modernen Schnitt.
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