Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
sich brummelnd aus dem Sessel und begann ihren Abstieg.
Wieder in der Küche berichtete Ruby mit lauter Flüsterstimme: »Sie sagt Nein, sie weigert sich, und sie würde lieber ihr Erbrochenes essen.« Zu Jo sagte sie: »Wir hatten einen Hund, der das machte … ekelhaft! Ich war froh, als er tot war.«
Derek entglitt sein Lächeln. »Ruby, ich kann dieses Haus nicht verlassen, ohne Eva interviewt zu haben. Ich bin ein äußerst erfahrener und angesehener Journalist. Ich habe meinen Berufsstolz. Also, Madam, wären Sie bitte so nett, nach oben zu gehen und Ihrer Tochter klarzumachen, dass ich jede Berühmtheit interviewt habe, die je den ostmittelenglischen Boden betreten hat. Ich habe mit Muhammad Ali schattengeboxt. Ich habe Mr. Nelson Mandela unbequeme Fragen zu seiner terroristischen Vergangenheit gestellt und, möge ihre Seele in Frieden ruhen, ich habe mit Prinzessin Diana geflirtet.« Er beugte sich hinunter und flüsterte Ruby ins Ohr: »Und, Herrgottsakra, hat die zurückgeflirtet. Ich hatte das Gefühl, wenn sie allein gewesen wäre, ohne ihre Hofschranzen, hätten wir ein paar Drinks nehmen können und … na ja, wer weiß, was passiert wäre? Ich war nicht abgeneigt, sie war nicht abgeneigt …« Seine Stimme verstummte, und er zwinkerte Ruby lüstern zu.
Ruby war eine begeisterte Mitverschwörerin. Sie nickte und machte kehrt.
Eva wartete ungeduldig auf Aufbruchsgeräusche, konnte aber nur ihre Mutter hören, die mit der Treppe redete: »Du hast gut lachen, Treppe, du stehst einfach nur da, aber ich muss dich hochsteigen. Ja, ich weiß, du knackst, aber wenigstens bist du aus Holz. Wenn ich knacke, sind es meine armen Knochen, die du hörst, und es tut weh.«
Eva war nicht überrascht.
Ihre Mutter hatte schon immer mit Haushaltsgegenständen gesprochen. Erst gestern hatte Eva sie sagen hören: »Komm schon, Bügeleisen, jetzt nicht schlappmachen, ich muss noch drei von Evas Nachthemden machen.«
Ruby lehnte sich an den Türrahmen und versuchte, zu Atem zu kommen.
Eva stand auf dem Bett und starrte auf ihre Mutter herab. »Und?«, sagte sie. »Warum sind sie noch nicht weg?«
Ruby zischte: »Du kannst Derek Plimsoll nicht abblitzten lassen. Er hat Prinzessin Diana interviewt, als sie noch lebte.«
Jo sah sich Rubys Interview auf dem Kamerabildschirm an. Der fuchsienrote Lippenstift ließ sie aussehen, als würde sie aus dem Mund bluten.
Gerade sagte Ruby: »Eva war schon immer ein bisschen seltsam. Jahrelang dachten wir, sie sei zurückgeblieben, plemplem. Sie dachte sich im Garten hinterm Haus Theaterstücke aus, in denen das Kaninchen eine Rolle ohne Text hatte. Sie probten den ganzen Tag, dann musste ich rauskommen und es mir ansehen. Ich nahm mein Strickzeug mit, um mir die Zeit zu vertreiben. Das Kaninchen war Dreck.«
Jo sagte zu Derek: »Wir können keine einzige Totale von Ruby verwenden. Sie hatte die Beine breit, man sieht ihren Riesenschlüpfer.«
Jo hatte die Nase voll. Der Grund für ihr Filmstudium an der Goldsmith’s war ihre Liebe zum Cinéma vérité gewesen. Sie hatte gehofft, mit Mike Leigh zu arbeiten und improvisierenden, professionellen Schauspielern. Nicht mit Laien, die hoffnungslos unartikuliert waren und meist in abgegriffene Phrasen verfielen, wie »Es war ein Alptraum«, »Wir sind am Boden zerstört«, »Wir können es noch gar nicht fassen« und – immer wieder gern – »Wir sind überglücklich«.
Fünf Minuten später, als Ruby immer noch nicht wieder runtergekommen war, sagte Derek: »Ich habe die Schnauze voll, ich geh jetzt rauf. Komm mit!«
Ein bisschen hatte er Angst vor dem, was ihn oben erwartete. In der Vergangenheit hatte er manch böse Überraschung erlebt, wie den 103-jährigen Mann, der, als Derek ihn in einem Live-Interview nach dem Geheimnis für sein langes Leben fragte, kreischte: »Wichsen!« Er pfiff die Titelmelodie von Der Exorzist, während er langsam die Stufen erklomm.
Jo sagte: »Wir bewegen uns auf dünnem Eis, Derek«, während sie ihm folgte und dabei filmte.
Als Derek den Treppenabsatz erreichte, zischte er Ruby an: »Aus dem Weg, Sie verstellen die Sicht!«, dann schubste er sie, so dass sie ins Wanken geriet.
Jo sagte: »Schöne Aufnahme von dir, wie du eine alte Dame wegschubst, Derek.«
*
Eva sah Derek Plimsoll und eine Frau mit Kamera auf der Schulter durch die Tür auf sich zukommen. Sie schrie: »Lass sie nicht rein, Mum! Mach die Tür zu!«
Ruby wusste nicht, was sie tun sollte. Jo war ebenfalls hin- und
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