Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
hergerissen; ihr gefiel nicht, was hier ablief. Die hübsche Frau, die sie durch ihr Objektiv sah, hatte offensichtlich Angst, doch Jo war überrascht von der Kargheit des weißen Zimmers. Das Licht war perfekt. Da sie die Kamera nicht ausschalten konnte, regulierte sie den Weißabgleich und filmte weiter.
Eva kroch unter die Decke und rief: »Mum! Mum! Ruf Alexander an! Seine Nummer steht im Buch!«
Jo gelang es, das Gesicht der Frau für ein paar Sekunden zu filmen, bevor sie unter der weißen Bettdecke verschwand.
Derek lief in die Einstellung. Er erklärte: »Ich bin im Schlafzimmer einer Frau namens Eva Biber – oder, wie Zehntausende von Menschen sie inzwischen nennen, ›Die Heilige aus der Vorstadt‹. Ich wurde von einer Mrs. Brown-Bird, Evas Mutter, hierher eingeladen, aber Eva ist schüchtern und nervös und hat darum gebeten, ihr Gesicht nicht zu zeigen. East Midlands Tonight wird diese Bitte respektieren. Da ist sie. Sie ist der Klumpen da im Bett.«
Jos Sucher zeigte einen kleinen Hügel unter einer weißen Bettdecke.
Unter der Decke schrie Eva: »Bist du noch da, Mum?«
Ruby sagte: »Ja, aber ich schaff die Treppe gerade nicht.« Sie ließ sich in den Sessel plumpsen. »Ich bin die ganze Zeit hoch und runter gehüpft wie ein Scheißspringstock. Ich bin neunundsiebzig. Ich bin zu alt für dieses Trara. Ich habe unten einen Kuchen, um den ich mich kümmern muss.«
Derek rief: »Mrs. Brown-Bird, wir versuchen hier zu filmen! Bitte nicht reden, pfeifen oder singen.«
Ruby stand auf und sagte: »Wenn ich hier nicht erwünscht bin, gehe ich.«
Sie schwankte zum Treppengeländer und stützte sich daran ab, bis sie sich in der Lage fühlte, nach unten in die Küche zu gehen, wo sie begann, nach Evas Telefonbuch zu suchen. Alexanders Nummer war gleich die erste, geschrieben in seiner Handschrift. Ruby setzte sich an den Küchentisch und drückte umständlich die Telefontasten.
Er nahm sofort ab und sagte: »Eva?«
»Nein, Ruby. Sie will, dass Sie herkommen. Hier sind Leute vom Fernsehen, die sollen gehen.«
»Was? Sie braucht einen Rausschmeißer?«
»Ja, sie will, dass Sie kommen und die rauswerfen«, erläuterte Ruby Evas Anweisungen.
»Warum ich? Ich bin nicht gerade ein Schlägertyp.«
Ruby sagte: »Ja, aber vor schwarzen Männern haben die Leute Angst, oder?«
Alexander lachte ins Telefon. »Okay, ich bin in fünf Minuten da. Ich bringe meine tödlichen Pinsel mit, ja?«
Ruby sagte: »Gut, denn ich hab genug von dem ganzen Hickhack. Ich geh nach Haus.«
Behutsam legte sie den Hörer auf, zog Hut und Mantel an, holte ihre Einkaufstasche hinter der Küchentür hervor und trat in den kalten Nachmittag.
*
Eva hatte Jo überredet, die Kamera auszuschalten, saß mit verschränkten Armen im Bett und sah – in Dereks Augen – so aus wie eine moderne Jeanne d’Arc.
Derek sagte: »Also, sind Sie vernünftig und geben mir ein Interview, von Angesicht zu Angesicht, in Ihren eigenen Worten, oder soll ich für Sie reden? Wenn ja, könnte Ihnen nicht gefallen, was ich zu sagen habe.«
»Ich habe nur eins zu sagen. Verschwinden Sie aus meinem Haus!«
»Mir gefällt das nicht«, sagte Jo. »Du nötigst sie, Derek, eigentlich müsste ich das der Personalabteilung melden.«
Derek sagte: »Schon gut, wir schneiden alles raus, womit du nicht glücklich bist.«
»Aber am Schnitt bin ich gar nicht beteiligt. Ich darf nur die Kamera halten.«
»Bei der trauernden Witwe letzte Woche warst du nicht so etepetete.«
»Welche der beiden? Wir hatten letzte Woche zwei trauernde Witwen.«
»Die, deren bekloppter Mann in die Knetmaschine gefallen ist.«
»Da war ich auch nicht glücklich.«
Derek packte Jo an den Schultern und sagte: »Aber deine Schlussaufnahme war so kunstvoll – die Tränen, die ihr übers Gesicht liefen, und der Regenbogeneffekt, den du rausgeholt hast.«
Jo sagte: »Ich habe ihre Tränen durch eine Kristallvase aufgenommen. Ich bin nicht stolz darauf. Ich schäme mich.«
»Wir alle vom Fernsehen schämen uns, Kleines, aber das hält uns nicht davon ab, es zu tun. Du darfst nie vergessen, dass wir den Leuten geben, was sie wollen.«
Derek senkte die Stimme und murmelte in Evas Richtung: »Übrigens, darf ich sagen, wie leid es mir tut, dass Ihr Mann Sie verlässt? Sie sind wahrscheinlich am Boden zerstört.«
Eva sagte: »Wissen Sie überhaupt, was ›am Boden zerstört‹ bedeutet?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Es bedeutet: vernichtet oder ruiniert, in tausend Teile
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