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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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anklopfe.
    Er sitzt in seinem Ohrensessel aus Leder, der eine Idee gedreht wurde, in Richtung eines Fensters, das von samtenen Gardinen gerahmt wird. Der Raum riecht nach Zigarrenstummeln und traniger Möbelpolitur und nach Milosa selbst – trocken, dicht, mit einem Hauch von Anisette. Sein Ausdruck ist trauriger und friedvoller, als ich es von ihm kenne. Ich habe das Gefühl, in einem sehr privaten Augenblick zu ihm gekommen zu sein, und murmle, dass ich später noch einmal vorbeischauen könne.
    »Nein, komm rein. Ich möchte dich sehen.«
    Der Sessel ihm gegenüber ist ebenfalls schräg zum Fenster ausgerichtet. Als ich mich setze, bemerke ich seine Schuhe. Hässliche, zweckmäßige Schuhe mit dicken Senkeln. Russische Schuhe. Neben dem Sessel liegt eine zu Boden gerutschte Wolldecke. Wahrscheinlich war sie über seine Beine gelegt, und er hat sie abgeschüttelt, als ich anklopfte.
    Zögernd frage ich, ob es ihm gutgeht.
    »Sehr gut.« Er blickt aus dem Fenster auf den Herbstnachmittag. Die Abenddämmerung naht. Goldbraunes Sonnenlicht fällt auf unseren Schoß wie ein Abschiedsgeschenk des Tages.
    Und warum kommst du mir dann so anders vor? , möchte ich fragen. Aber ich bin auch nicht mutiger, als er es ist, nicht ehr­licher, trotz all meines Gejammers. Ich steuere auf den sicheren Hafen unserer üblichen Differenzen zu, indem ich eine Frage stelle, die mir seit unserem letzten Gespräch nicht mehr aus dem Kopf geht.
    »Warum hast du dir solche Sorgen gemacht, wie ich Maureen behandeln könnte?«
    »Ach, das.« Träge berührt er den iPod auf dem Tisch neben ihm, um ihn leise zu stellen. »Du bist so impulsiv, Pirio, und du hegst immer noch diesen kindischen Groll gegen sie. Aber du wärest dumm, wenn du Maureen beiseiteschieben würdest. Sie weiß mehr über Inessa Mark als jeder andere, mich und dich eingeschlossen.«
    »Moment. Willst du damit sagen, du glaubst nicht, dass ich die Firma ohne Maureen leiten könnte?«
    Der dritte Orchestersatz des Konzerts schwillt sanft an. Er berührt wieder den iPod, stellt ihn auf Pause. »Du bist deiner Mutter zu ähnlich. Sie hätte auch kein Unternehmen leiten können.«
    »Sie hat es aber getan.«
    »Sie hatte mich.«
    »Leute wie dich kann man einstellen.«
    Er lacht leise in sich hinein. »Oh, ich verstehe. Ich war austauschbar. Willst du das damit sagen?«
    Ich denke darüber nach. »Mehr oder weniger.«
    »Aha, jetzt ist es raus. Dieser sture Stolz. Ich habe diese Eigenschaft an Isa immer bewundert – es hat sie aufregend gemacht. Aber es war gleichzeitig auch nur Verblendung und am Ende ermüdend.«
    Ich spüre, wie es in mir brodelt. Da legt er wieder los mit seiner unnötigen Kritik an den Toten. »Es ist mir egal, was du vom Charakter meiner Mutter hältst. Oder von meinem.«
    »Bravo! Sie hätte genau das Gleiche gesagt. Es ist unheimlich zu sehen, wie du ihr immer ähnlicher wirst, obwohl sie nicht mehr da ist. Sie hat sich, genau wie du, überhaupt nicht für die Meinung anderer Menschen interessiert. Sie hat mich schlecht behandelt, als ich sie kennenlernte. Neunzehn Jahre alt, in einem billigen Baumwollkleid. Verächtlich und reserviert. Ich dachte, sie würde sich ändern, sanfter werden, aber das war nie der Fall. Es ist merkwürdig, heute zurückzublicken und alles so klar vor sich zu sehen – all die Jahre habe ich, ein Atheist, auf ein Wunder gewartet. Ich habe an die Liebe geglaubt. Wusstest du das von deinem alten Herrn, Pirio? Ich habe an die Liebe geglaubt.«
    Es fröstelt mich, wenn er so redet. Ich halte mich an das, wovon ich etwas verstehe. »Meine Mutter war nicht desinteressiert, und ich bin es auch nicht. Sie war nicht verächtlich und reserviert. Vielleicht dir gegenüber, aber mir gegenüber nicht.«
    »Natürlich. Du warst ihr Kind. Sie hat sich selbst in dir gesehen, und sie hat dich nur noch mehr geliebt, weil du schwierig warst.«
    Ich möchte ihm eine scharfe Bemerkung entgegenschleudern. Schwierige Kinder, einsame Kinder erinnern sich an die Liebe von denen, die sie ihnen geben. Aber ich brauche diese Augenblicke der Ehrlichkeit so sehr, dass ich es schaffe, meine Zunge im Zaum zu halten.
    »Warum sagst du diese Dinge jetzt, Milosa?«
    Ein Lächeln so flüchtig, dass kein richtiges daraus wird. »Ich sterbe. Hat Maureen es dir nicht gesagt?«
    Ich denke, vielleicht habe ich ihn akustisch missverstanden, so laut ist der Ansturm der Gefühle, der jetzt mein Herz erfüllt. Natürlich hatte ich es bereits vermutet. Aber ich habe

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