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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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um wenig gebeten und sich stets an die Regeln gehalten hat. Also eine Frau, die Verbitterung als ihr gutes Recht ansieht. Eine Hand umklammert dicht vor der Brust eine kleine schwarze Handtasche, die andere hat anscheinend gerade Thomasina zurückgestoßen.
    »Wie können Sie es wagen, vor uns zu gehen! Wie können Sie es wagen, überhaupt hierherzukommen! Sie haben meinen Sohn ruiniert – er war nie mehr derselbe, nachdem er mit Ihnen zusammen war. Und jetzt platzen Sie hier rein und setzen sich in die erste Bank, als wären Sie seine Frau. Warum sind Sie gekommen? Sie gehören hier nicht her! Sie haben kein Recht, vor uns zu gehen!«
    Ich zucke zusammen. Ich sehe, wie Noah erstarrt. Thomasina greift nach seiner Hand. Dutzende von Leuten schauen zu, keiner gibt einen Laut von sich.
    An diesem Punkt erwacht Neds Vater, der direkt hinter seiner Frau gestanden hat, aus seinem fassungslosen Staunen, tritt einen Schritt vor, nimmt Phyllis am Ellenbogen und führt sie zur Tür. Sie stolpert mit qualvoll gerötetem Gesicht hinaus und ruft über die Schulter zurück: »Sehen Sie sich doch nur an! So kommen Sie in die Kirche – angezogen wie eine Schlampe! Es ist mir egal, wenn ich in der Hölle schmore, weil ich sage –«
    Die wuchtigen Türen verschlucken ihre Worte, und die Menge steht eine Weile regungslos da. Dann setzen sich die Ersten wieder in Bewegung, tauchen ihre Finger kurz ins Weihwasser und bekreuzigen sich mit gesenktem Kopf, während sie Gebete murmeln. Es ist, als hätten sie beschlossen, dass vielleicht gar nichts passiert war. Oder, falls doch, dass es jetzt auch nicht mehr zu ändern war. Aber als sie die Kirche verlassen, schlagen sie einen weiten Bogen um Thomasina und Noah, die immer noch dort stehen, wie zwei menschliche Statuen auf einer quadratischen Marmorwiese.
    »Thomasina –« Ich berühre ihren Arm.
    »Schon in Ordnung, Pirio. Ich komme damit klar«, sagt sie mit fester Stimme.
    Ihre Augen sind auf die Tür gerichtet. Dahinter erwartet sie ein Spießrutenlauf die steinernen Stufen hinunter. Gefolgt von einem überfüllten Bürgersteig und einer Ecke, an der Leute in kleinen Gruppen beisammenstehen werden und reden. Starre Blicke, Getuschel, verächtliches Grinsen. Dann die Autofahrt nach Hause mit einem trauernden, verleugneten Zehnjährigen. Aber ja, sie wird damit klarkommen. Durch die Menge zu gehen, ohne Gefühle zu zeigen. Sich etwas Vages und fast Glaubhaftes auszudenken, um Noah zu erklären, was gerade passiert ist. Es ist nicht deine Schuld. Es ist meine. Deine Großeltern mögen mich nicht besonders. Albern, oder? Niemand käme besser mit dieser Herausforderung klar als Thomasina. Sie wird es sogar ganz einfach aussehen lassen. Aber heute Abend, wenn sie allein ist, wird sie wieder nach dem Stolichnaya greifen, statt wie üblich nach ihrem Wein. Wird sich die Flasche reinknallen und aus den Latschen auf die Couch kippen, wo Noah sie am nächsten Morgen finden und sich kurz fragen wird, ob sie noch am Leben ist.
    Sie atmet tief ein, greift Noahs Hand noch fester; er wirft mir einen ängstlich-verwirrten Blick zu, und ich nicke ermutigend. Und los gehen sie, durchgedrückter Rücken, Augen geradeaus. Ein Mann hält ihnen die Tür auf, schaut aber fort, als sie hindurchgehen. Vielleicht aus Feigheit, oder einfach nur aus Schmerz, lungere ich so lange im Foyer herum, bis es ganz leer ist. Als ich schließlich vor die Tür trete, ist von Thomasina und Noah oder Phyllis und ihrer Familie nichts mehr zu sehen.
    Es dämmert bereits. Das Licht hat einen gedeckten violetten Ton angenommen. Eine dicke weiße Taube watschelt auf mich zu, schwankt von einem Fuß auf den anderen, als wären die Beine unterschiedlich lang. In diesem Licht leuchten die Federn regelrecht. Spontan gehe ich in die Hocke, und die Taube nähert sich meiner ausgestreckten Hand. Sie pickt einen Augenblick an meinen Fingern und entfernt sich dann ohne Eile.
    Das ist die zweite seltsame Sache, die mir in jüngster Zeit passiert ist. Gestern habe ich mitten in der Nacht einen Dudelsack spielen hören. Ich habe das Fenster geöffnet und mich hinausgelehnt. Es war ein friedvolles Lied, das ich noch nie zuvor gehört hatte. Ich habe lange gelauscht, und als ich wieder zurück ins Bett ging, spielte die Musik immer noch. Es fühlte sich an, als würde der Dudelsack mich zurück in den Schlaf singen.
    Meine Taube fliegt hoch, auf das gegenüberliegende Gebäude, und verschwindet hinter dem Dach. Direkt darunter steht ein

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