Die Frau die nie fror
Das geht natürlich nicht.« Sie knöpft ihre Jacke auf, um etwas frische Luft an ihren Oberkörper zu lassen, und entlässt mich.
Zurück in meiner Kabine, telefoniere ich von meinem Mobiltelefon aus. Seine Stimme klingt erfrischend normal. Hi, Russell Parnell hier. Hinterlassen Sie eine Nachricht.
Ich berichte, was ich bislang weiß: Ich befinde mich auf einer Luxusyacht namens Galaxy , die Bob Jaeger gehört. John Oster ist nicht mit an Bord, aber Dustin Hall und einige Besatzungsmitglieder der Sea Wolf . Wir verlassen Boston Harbor mit Kurs Nord, sind möglicherweise auf dem Weg ins nördliche Polarmeer. Über unser genaues Ziel werde ich ihn informieren, sobald ich es kenne.
*
Während wir fürs Frühstück eindecken, liefert mir mein Kellner-Kollege (so werden wir genannt) Andrew mit der Igelfrisur die Hintergrundgeschichte zu jedem männlichen Gast, der aus dem Aufzug aufs Oberdeck tritt und seinen Platz am Tisch einnimmt. Eine gewisse Selbstgefälligkeit schwingt in den Schilderungen der Männer mit, in denen Andrew Tratsch und Klatsch verarbeitet. Auch eine gewisse missgünstige Schadenfreude, dabei scheint er eifrig alle Meldungen und Artikel über sie zu lesen. Er scheint eine Hassliebe zu den Gästen (wie sie genannt werden) entwickelt zu haben.
Schon bald sitzen alle – sechs Männer und drei austauschbare Barbie-Püppchen. Margot ist nicht dabei. Vermutlich holt sie Schlaf ohne Jaegers Geschnarche nach. Andrew und ich schenken Kaffee ein, reichen Gebäck herum und nehmen Bestellungen entgegen. Omeletts, arme Ritter oder Joghurt und Obst. Das Servieren von Speisen hat unweigerlich etwas Mütterliches. Wenn ich meine Augen zusammenkneife, ist es ganz einfach, sich jeden Mann als reizenden Zwölfjährigen vorzustellen.
Bob Jaeger sitzt am Kopfende des Tisches. Laut Andrew hat er eine Vorliebe für hilflose Kindfrauen wie Margot, der er immer wieder versichere, die Scheidung sei nur noch eine Frage der Zeit. Mit seinen eins achtzig, einem eher flachen, eckigen Gesicht, zusammengekniffenen Augen und markantem Kinn ähnelt er eher Barbies Ken als einem Macher auf globalem Parkett.
Neben ihm sitzt Jewgeni Petrenko alias der russische Diamond Man . Er hat sein erstes Vermögen vor zwanzig Jahren mit Plastiktüten gemacht (ein Produkt, das in der ehemaligen Sowjetunion so knapp war, dass die Menschen es wuschen und wieder verwendeten), sein zweites Vermögen mit sibirischen Diamanten und sein drittes mit dem Internet. Als junger Mann saß er acht Jahre wegen Betrugs und Veruntreuung im Gefängnis, und heute zitiert er bevorzugt den Gulag-Absolventen Solschenizyn, der bekanntermaßen einräumte, seine wahre Erziehung in der Welt der Strafkolonien erhalten zu haben. In Geschäftsanzug und zugeknöpftem rosa Hemd reckt Petrenko sein Kinn nach vorn wie die Schaufel eines Kipplasters. Sein umfangreicher Bauch, Beweis des guten Lebens, hängt ihm deutlich über den Gürtel.
In weitgeschnittener Khakihose, Schlappen und einer Brille mit Metallrahmen strahlt Hollywood-Produzent Alan Stempel zurückhaltenden amerikanischen Schick aus. Der Kunstsammler und Musikliebhaber ist bekannt für eine Reihe von auf den populären Massengeschmack zugeschnittene Blockbuster, doch den wesentlichen Teil seines Vermögens verdankt er Düngemitteln, Pestiziden und Waffen. Er pflegt gute Beziehungen zu mehreren Regierungen (der US -amerikanischen, israelischen, libyschen und jordanischen) und hat den vorgeblichen Wunsch, Frieden in den Nahen Osten zu bringen. Vorwürfe der Spionage konnten nie untermauert werden. Der attraktive, kahlköpfige Mann mit der verschmitzt zurückhaltenden Ausstrahlung hat sieben Kinder und ist derzeit verheiratet mit Ehefrau Nummer vier.
Richard Lawler, ein Schotte mit rotem Gesicht und einem Heiligenschein aus wuscheligen blonden Haaren, ist ein internationaler Rohstoffspekulant. Seine bekannten Manien lassen ihn in der Öffentlichkeit unverständliches Zeug brüllen, auf wilde Einkaufstouren gehen und launenhaft Angestellte feuern. In regelmäßigen Abständen zieht er sich auf sein Anwesen in den Highlands zurück, wo er mit seiner Schwester – einer alten Jungfer – lebt, plus Schafherden und einem Rudel Border Collies. Er ist jungenhaft, Single und sexuell unberechenbar. Wegen seiner launischen Ankaufs- und Verkaufsexzesse entgeht er immer wieder den Folgen von Konjunktureinbrüchen. Jeder einzelne seiner Schritte wird in der Investment-Welt aufmerksam verfolgt, auch
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