Die Frau die nie fror
der die Unterhaltung immer noch genießt.
»Welche Macht hatte denn der kommunistische Scherge oder der Nazi-Soldat, der seinen Nachbarn ermordete? Dschingis Khan und seine Horden haben zu ihrer Zeit zehn Prozent der gesamten Menschheit ausgerottet. Dabei ging es ihnen nicht um Macht, sondern nur ums Töten. Für sie war es ein Sport.«
Ekborg fährt mit melancholischem Bedauern fort: »Wir sind alle Mörder, und die Gefährlichsten unter uns sind die, die es nicht zugeben wollen. Die Jagd ist die harmloseste Form, die Mord annehmen kann. Es geht nicht um Politik, nicht um Hass. Und tierische Populationen füllen sich zumeist selbst wieder auf. Denken Sie mal drüber nach. Wenn man mehr Menschen erlauben würde, Wild zu töten, wären Kriege vielleicht seltener. Aber es muss eine Beute sein, die die Fähigkeiten und den Einfallsreichtum eines Menschen wirklich fordert. Enten und Eichhörnchen sind da nicht das Richtige.«
Petrenko drückt die Zigarette auf seinem Teller aus. »Jorn ist ein meisterhafter Jäger. Wir haben ein Video von ihm in Afrika. Falls Sie es sehen möchten, ich bin sicher, dann wird er es Ihnen noch heute Abend zeigen. Er hat ein Auge auf Sie geworfen, genau wie damals auf diesen Löwen. Er ist ein wilder Kerl, dieser Jorn. Ich sage Ihnen, nehmen Sie sich vor ihm in Acht.«
»Ich würde es sehr gern sehen«, sage ich und bringe ein künstliches Lächeln für Ekborg zustande.
»Dann werden Sie das, Ms Kasparov.«
»Heute Abend stehe ich nach neun im kleinen Salon hinter der Bar.«
»Perfekt. Dort zeigen wir immer unsere Videos«, sagt Ekborg.
Die Aufzugtür öffnet sich, und Zorina stürmt heraus. Sie sieht aus wie eine Flaschenrakete, die jeden Moment hochgehen wird. Andrew ist, wie mir auffällt, nicht mehr da. Ich habe das reflexartige schlechte Gewissen des Angestellten, der beim Faulenzen erwischt wird. Auf dem Fuße folgt die Angst, dass sie so sauer ist, dass ich heute Abend nicht hinter der Bar stehen darf und stattdessen die Latrinen schrubben muss. Ich springe auf und staple sofort schmutziges Geschirr aufeinander.
»Meine Herren, verzeihen Sie mir bitte, aber ich brauche Ms Kasparov«, sagt Zorina mit unterkühlter Freundlichkeit und kommt zum Tisch.
»Bestrafen Sie die junge Dame bitte nicht!«, kräht Ekborg, während Petrenko amüsiert zuschaut. »Es ist alles meine Schuld. Ich habe sie geradezu gezwungen, ihre Pflichten zu vernachlässigen und stattdessen mit uns Kaffee zu trinken. Sowohl Jewgeni als auch ich haben mit allen Mitteln versucht, sie zu verführen, allerdings ohne Erfolg. Diese Frau ist ein Ausbund an Tugend.«
»Ja, dessen bin ich sicher, aber ich brauche sie jetzt. Es tut mir sehr leid, sie Ihnen wegnehmen zu müssen.«
»Madame, Sie leisten tadellose Arbeit«, sagt Petrenko. »Der Service ist wirklich erstklassig.«
Zorina lächelt unverbindlich. Sie will sich keinen Honig ums Maul schmieren lassen.
Petrenko macht mit seinen schmeichelhaften Ablenkungsmanövern weiter, die mir wohl aus der Patsche helfen sollen. »Ich freue mich schon sehr auf unser kleines Abenteuer. Mit meinem Freund Jorn an Bord werden wir in der Baffin Bay doppelt so viel zu tun haben wie gewöhnlich.«
Ich erstarre, meine Hand umklammert das schmutzige Besteck. Die Baffin Bay. Eine riesige Wasserfläche zwischen Kanada und Grönland. Abgelegen, unbereist, ihre entfernten Küsten lediglich bewohnt von vereinzelten Siedlungen der Inuit. Ein perfekter Ort für die Jagd auf Wale.
Zorina packt meinen Ellbogen, zieht mich beiseite und schleift mich zur Bar, wo sie mich zur Schnecke machen kann, ohne dass jemand mithört. Ich habe ein Tablett voll mit Geschirr in den Händen und lasse es beinahe vor ihre Füße fallen.
»Hören Sie zu, Ms Kasparov. Sie müssen sich vorsehen, verstehen Sie? Es kann vorkommen, dass die Gäste reden und flirten wollen. Wenn sie das möchten, schön, dann gehen Sie darauf ein. Ich werde Sie nicht einmal aufhalten, falls Sie geneigt sind, mehr zuzulassen. Aber vergessen Sie niemals, dass Sie eine Angestellte sind. Sie werden dafür bezahlt, alles zu vergessen, was immer die Gäste Ihnen erzählen oder zeigen und was immer Sie auf dieser Reise sehen oder hören. Ich glaube, Mr Hall ist diese Regeln mit Ihnen durchgegangen.«
»Man hat es mir gesagt, ja.«
»Und seien Sie bitte nicht so dumm zu glauben, jemand würde sich ernsthaft für Sie interessieren. Hier gibt es kein Happy End.«
»Das habe ich auch nicht erwartet.«
»Gut. Jetzt beenden Sie hier
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