Die Frau die nie fror
wenn es immer wieder Gerüchte gibt, dass er eigentlich geisteskrank ist.
Daneben sitzt ein junger Schwede namens Jorn Ekborg, über den Andrew weniger weiß. Ekborg fällt mir auf, als er mehr Kaffee verlangt und demonstrativ hilfsbereit unter dem Tisch verschwindet, um eine heruntergefallene Serviette aufzuheben. Von Zeit zu Zeit steht er auf und schlendert zu den Fenstern, um das herrliche, ungebrochene Spektakel des Atlantiks in sich aufzunehmen. Seine Augen wandern in meine Richtung, um zu schauen, ob ich ihn beobachte. Mit seinem kräftigen, eleganten Körper, dem feingeschnittenen Gesicht und den beschwörenden dunkelblauen Augen könnte er den romantischen Helden einer Wikinger-Saga spielen. Oder einen Serienmörder mit einem Master in Lyrik. Andrew sagt, er verdiene sein Geld mit Telefonen und Social Media.
Der Letzte ist Dustin Hall. Er wirkt ausgesprochen unruhig, und all seine Bewegungen sind seltsam träge, wie die eines schwerfälligen Trittbrettfahrers, der nachäfft, was die coolen Kids tun. Heute Morgen trägt er eine steife Harvard-Baseballmütze, die viel zu hoch auf seiner Stirn sitzt, und dazu eine dunkelblaue Jacke mit den überkreuzten Golfschlägern des Brookside Country Club-Logos, deren Reißverschluss hochgezogen ist. Über ihn hat Andrew nicht viel zu sagen.
Als ich ihm Kaffee aus einer silbernen Isolierkanne einschenke, bemerkt Hall mich und nickt halbherzig. Ich nehme an, er erinnert sich von Mrs Smith’ Pensionierungsfeier her an mich und weiß, dass ich Johnnys Neueinstellung bin. Ich erwidere das Nicken genauso halbherzig. Peinlich, das Ganze, gelinde gesagt. Ich bin froh, als Andrew die Bestellung von Hall aufnimmt und mich am anderen Ende des Tisches arbeiten lässt.
Die Gäste essen langsam und brechen dann irgendwann auf. Am Ende sind nur noch zwei Gäste übrig, Jorn Ekborg und Jewgeni Petrenko, die zwischen den leeren Kaffeetassen und dem schmutzigen Geschirr sitzen, das noch auf dem Tisch steht. Ihre Unterhaltung wird immer wieder von herzhaftem, kehligem Lachen unterbrochen.
Als ich ihre Teller abräume, hält Ekborg meine Hand fest. »Kommen Sie, kommen Sie, stellen Sie die wieder hin. Leisten Sie uns bei einem Kaffee Gesellschaft. Sie dürfen doch bestimmt Kaffee trinken? Nicht? Aber Sie müssen! Es ist das schwedische Nationalgetränk, und wenn Sie ablehnen, fasse ich das als Beleidigung meines Landes auf. Moment, ich schenke Ihnen ein!«
Charmant springt er auf, um eine Tasse samt Untertasse vom Servicewagen zu holen, und stellt beides auf eine freie Stelle neben seiner. Ich setze mich, während er zurücktrabt, um einen Löffel zu suchen. Er schenkt aus der noch auf dem Tisch stehenden Kanne ein, während Andrew schmutziges Geschirr stapelt und dabei voller Neid und Missfallen zusieht.
»Jewgeni und ich sind gute Freunde. Können gar nicht aufhören zu reden, stimmt’s? Ist es nicht komisch? Ein Schwede und ein Russe, drei Jahrzehnte Altersunterschied. Aber das ist wahre Freundschaft. Die üblichen Grenzen verschwinden.«
»Dummkopf!«, sagt Petrenko. »Wann hab ich zuletzt einen solchen Unsinn gehört? Nehmen Sie sich in Acht, junge Frau. Er versucht, Sie mit seiner poetischen Seele zu beeindrucken!« Er zieht mit feuchten Lippen an der Zigarette zwischen seinen gelben Fingern.
»Sehen Sie, wie er mich liebt? Wie ein Bruder«, sagt Ekborg. »Wir haben uns in einem Survival-Camp bei Ihnen in Montana kennengelernt. Sie sind doch Amerikanerin, oder? Natürlich. Ich sehe das, noch bevor Sie den Mund aufmachen. Ihr amerikanischen Frauen habt eine solche … Direktheit an euch.«
Petrenko grölt. »Direktheit! Du weißt wirklich, wie man mit einer hübschen Frau spricht, Jorn. Ich sollte Unterricht bei dir nehmen!«
Ekborg wendet sich dem Russen zu. »Ja, warum nicht? Ich werde dir einen Meisterkurs anbieten, Jewgeni, mit dem du allerdings, wie ich fürchte, sowieso nichts anfangen kannst. Du hast schon einen großen Fehler gemacht. Nenne eine Frau niemals hübsch . Das ist viel zu gewöhnlich, erniedrigend. Schön ist das richtige Wort.«
»Und das alles sagst du, wo sie doch hier sitzt! Glaubst du vielleicht, sie ist taub?«
»Diese Frau kann man nicht verführen«, verkündet Ekborg und betrachtet mich mit einem selbstgefälligen, wohlwollenden Lächeln. »Sie besitzt einen starken Charakter. Man sieht es ihrem Gesicht an. Sie nimmt einen Mann ausschließlich zu ihren eigenen Bedingungen. Du musst warten, bis sie zu dir kommt.«
»Pah! Das sehe
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