Die Frau die nie fror
Tür.
»Wenn’s in ein paar Stunden dunkel wird, machen wir beide die Biege«, sagt er. »Achtern sind mehrere Dingis festgemacht, damit die Leute rüber ans Land pendeln können. Wir steigen in eines, rudern in die Stadt, verschwinden und sehen dann zu, dass wir wieder in die Staaten kommen. Wenn wir Boston erreichen, werden wir Daddy anrufen. Bis dahin wird nicht telefoniert. Er muss nicht wissen, dass sein Baby in Schwierigkeiten steckt, bis wir praktisch vor seiner Tür stehen. Du kannst mit ihm reden, sagst ihm, was er tun muss. Und wenn er das Geld nicht, wie du glaubst, in einer Stunde hat, leg ich dich um. Bis dahin werden wir schön dicht beieinanderbleiben. Die hier werde ich behalten« – er lässt die Handschellen wackeln –, »und ich hab auch eine Kanone.« Er schiebt die Jacke beiseite und zeigt mir eine Handfeuerwaffe in einem Schulterhalfter. »Falls du dich fragst, damit hätte ich dich umgelegt.«
Es läuft mir eiskalt den Rücken runter. »Warum solltest du das für sie tun?«
»Ich erledige hier alle Scheißarbeiten.« Er schließt die Jacke wieder.
»Was passiert, wenn sie merken, dass wir weg sind?«
»Nichts. Sie werden einen Scheißdreck tun. Sie müssen beim Schiff bleiben. Können sich nicht leisten, dass Jaeger mitbekommt, dass irgendwas nicht stimmt. Falls er je Wind davon bekommt, dass wir einen Spion der Navy an Bord hatten, wird es für Hall verdammt schnell verdammt hässlich. Hall hat eine Scheißangst vor Jaeger. Er wird den Mund halten, um seinen eigenen Arsch zu retten. Er wird den Oyster Man beauftragen, sich um uns zu kümmern. Um ihn müssen wir uns Sorgen machen. Er wird sofort hinter uns her sein, allerdings interessiert er sich mehr für dich als für mich. Ich tippe mal, er wird in Boston bleiben, weil er weiß, dass du früher oder später dort auftauchst. Sobald ich das Geld habe, werde ich endgültig verschwinden. An einen Ort, wo’s wärmer ist als hier.«
Troy reibt sich heftig die Nase, kratzt sich am Hals. Sein gebeugtes Bein klopft auf den Boden. Er ist nicht nur aufgeregt, er steht kurz davor, vor Stress auseinanderzufliegen. Dann fällt der Groschen. Zähne wie verbranntes Bauholz. Die gelbe, fleckige Haut. Er ist ein Crystal-Meth-Junkie. Ja, das passt. All die Bagatellvergehen, von denen Lou Diggens erzählt hat, waren letzten Endes nur Beschaffungskriminalität. Dank der ach so exzellenten Verbindungen seines Stiefvaters in die Fischfangbranche heißt es jetzt Zwangsentgiftung an Bord einer angeblich drogenfreien Yacht. Troy ist nicht mit dem Herzen bei der Sache, ist es nie gewesen. Er kann es gar nicht erwarten, von diesem Schiff runterzukommen. Mit einem fetten Bündel Cash in der Hand zu seinem Dealer zu gehen ist sein einzig wahrer und inniger Traum.
»Du wirst dein Geld bekommen, Troy. Johnny kannst du mir überlassen.« Ich sitze auf dem Boden neben ihm, ziehe die Beine an und wickle dann meine schmerzenden Arme um die Knie.
Er nickt schwer, so als wäre er erleichtert.
Schweigend sitzen wir nebeneinander da und warten auf die Dunkelheit. Der Stress macht mich verrückt, wenn ich mir vorstelle, dass Hall und seine Leibeigenen früher zurückkehren könnten. Troy sieht immer wieder auf seine Uhr.
»Wie lange noch?«
»Paar Stunden.«
»Auf keinen Fall. So lange kann ich nicht warten.«
»Wer hat dich gefragt?« Er muss schon etwas Mitleid mit mir haben, denn jetzt nimmt er seine Packung Winstons und schnipst mir eine aus dem Pack.
Als ich ablehne, sieht er mich beleidigt an. »Du hast gesagt, du wolltest eine Zigarette.«
»Eigentlich rauche ich gar nicht.«
Er verdreht die Augen.
»Troy, ich bin neugierig. Wenn ihr Typen – Johnny, du, Hall und die anderen – mir die ganze Zeit auf der Spur wart, warum habt ihr mich dann überhaupt mit auf diese Fahrt genommen? Warum habt ihr mich nicht schon vor einer Woche befragt und dann umgelegt?«
»Wie denn? Das war die große Frage. Wie sollten wir dich umlegen? Die alte Dame, die kann man überfahren, und kein Mensch schöpft Verdacht. Bei dir liegt die Sache schon anders. Gesund, jung. Hall und Johnny – sie wollten kein gewaltsames Vorgehen oder irgendwas, das zurückverfolgt werden könnte.« Er klaubt einen Tabakkrümel zwischen den Zähnen heraus. »Auf einem Schiff ist alles einfacher. Leute fallen über Bord, verschwinden. Internationales Recht oder Seerecht, schätze ich – weiß nicht, wie es heißt. Im Kern ist es aber so, kein Mensch sieht zu genau hin, und keinen
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