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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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Galaxy ihre Reise in den Norden fortsetzt. Er kann allein nach Boston zurück und auf sein Geld warten, bis ich eintreffe. Ich werde eine Lösung für Milosa finden, der wahrscheinlich auf Rache sinnt, und dafür sorgen, dass Troy bezahlt wird. Hauptsächlich tue ich’s für Noahs Sicherheit, aber auch, weil ein Deal ein Deal ist. Über das nächste Problem, was ich mit Johnny machen soll, muss ich noch eine Weile in Ruhe nachdenken.
    Das Jaulen des Motors breitet sich über die stille Bucht aus. Ein veilchenblauer Dunst verwischt die Konturen der zwei oder drei niedrigen, flachen Gebäude, die vor uns am Ufer auftauchen. Ein Blick über die Schulter verrät mir, dass sich Dunkelheit über die Labradorsee gelegt hat. Die Superyacht ragt aus der schwarzen Meeresoberfläche wie ein phosphoreszierender Gletscher – groß, wuchtig, schimmernd weiß. Sie verblasst hinter uns wie ein schlechter Traum.
    Troy macht den Motor aus, als wir uns Makkovik nähern. Neben einer behelfsmäßigen Anlegestelle gibt es eine Rampe für RoRo-Frachtschiffe. Das Ufer ist felsig. Es gibt keine andere Stelle zum Anlanden. Mehrere Dingis haben dort bereits festgemacht. Wir machen ebenfalls fest, steigen aus und planschen durch das seichte Wasser.
    Eine unbefestigte Hauptstraße führt landeinwärts an einigen weiteren, gedrungenen, pink und blau gestrichenen Gebäuden vorbei. Das Gelände auf beiden Seiten ist eine Mondlandschaft aus glatten schwarzen Felsen, freiliegendem Schiefer, hier und da Gestrüpp, Grasbüschel, unpassierbarer Morast. Im Norden und Süden erheben sich niedrige Berge, langsam abgeflacht von rauen Winden, baumlos bis auf ein einzelnes, ungewöhnliches Fichtenwäldchen am nördlichen Abhang.
    Die Stadt ist ruhig; sie wirkt unbewohnt. Dann höre ich ganz schwach die unverwechselbaren, eindringlichen Gitarrenakkorde von Clapton, der Leila anfleht, aus einer Reihe kleiner, identischer Häuser, die ein Stück von der Straße zurückgesetzt errichtet wurden. Ein anschwellendes klatsch, klatsch, klatsch lässt mich herumfahren. Es ist ein kleines Mädchen mit einem limettengrünen Springseil, das sich uns wirbelnd nähert, die Stirn nett in Falten gelegt. Sie segelt vorbei, ohne sich für die Fremden zu interessieren. Wir folgen ihr auf der Straße, für jeden sichtbar, denn es gibt keine Möglichkeit, Deckung zu suchen. Ich erinnere mich, dass Makkovik an der Spitze einer schmalen Halbinsel liegt.
    Weiter vorn hängt das Holzschild des Tungortok Inn am niedrigen Dach einer schiefen Eingangsterrasse. Ein Buick und ein paar Motorräder parken wild durcheinander auf dem Rasen vor dem Haus, und in der schmalen Einfahrt steht ein Range Rover. Anscheinend hat das Tungortok an diesem Abend mehr Gäste als nur Passagiere und Besatzung der Galaxy . Das Gasthaus ist zweistöckig, rechteckig wie ein Schuhkarton, knallblau angestrichen und hat keine Fensterläden oder sonst irgendeinen Schmuck. Aus zwei nach vorne zur Terrasse liegenden Fenstern fällt warmes, rosiges Licht, und fröhlich ausgelassene Stimmen dringen zu uns nach draußen.
    Ich habe keine Ahnung, wie weit es zum Highway ist. Es könnten fünfzig Meilen sein, genauso gut aber auch zehn oder zweihundert. Ich bin nur mit meinem blutbefleckten Galaxy- T-Shirt, Jeans und nassen Turnschuhen bekleidet und fange an zu zittern. Außerdem habe ich Hunger und bin sehr müde. Ich muss unbedingt in das Bürgerzentrum, um eine Nachricht an Parnell abzusetzen, doch es ist nirgends zu sehen und inzwischen wahrscheinlich auch geschlossen. Wenn er Videokameras mitbringen und mich hier oben in Labrador treffen kann, dann schaffen wir es schon irgendwie zusammen auf die Cumberland Halbinsel, von wo aus wir dann weitersehen. Vorher jedoch müssen Troy und ich am Tungortok Inn vorbei, ohne gesehen zu werden, und einen Ort finden, wo wir uns bis morgen versteckt halten können.
    Ich spüre Troys Anspannung, wie er seinen Schritt beschleunigt. »Siehst du das da?«
    »Was?«
    »Da«, er zeigt auf eine alte silberne Honda, in deren Zündschloss der Schlüssel steckt.
    »Warte«, sage ich vorsichtig.
    Er wartet nicht. Er rennt los und schwingt ein Bein über die Maschine. »Komm! Lass uns abhauen!« Er tritt den Kickstarter, und die Maschine erwacht in der Stille brüllend zum Leben, so laut und jäh wie eine Bombenexplosion. Er steuert das Motorrad auf die Straße – Scheinwerfer an, der Auspuff spuckt Abgase –, lässt die Maschine im Leerlauf, wartet auf mich. »Beeil dich!«, brüllt er

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