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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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gelingt es irgendwie, sich zu trennen und ihm einen schmalen Weg frei zu machen. Stempel folgt Ekborg. Dann Lawler. Brock und Dennis bilden die Nachhut.
    Schließlich muss Ekborg anhalten. Die Wale am Ende der Bucht sind gestrandet und können sich nicht mehr bewegen. Er schaltet seinen Außenborder aus, steigt aus dem Dingi, kriecht zuerst und geht dann aufrecht über die Speckschwarten ihrer Rücken. Er trägt kniehohe Gummistiefel, hält die Harpune in die Höhe. Er macht große Schritte mit stark gebeugten Knien, als ob er sich auf einem straff gespannten Trampolin bewege. Es gelingt ihm, auf einen Streifen Strand an der Südseite der Bucht zu gelangen, planscht im seichten Wasser über Felsbrocken und dreht sich um, stachelt seine Kameraden an. Stempel drückt sich in seinem Boot hoch, erhebt sich auf wackligen Beinen wie ein Baby, das gerade laufen lernt. Weniger sicher, mit vorsichtigen, bedächtigen Schritten folgt er Ekborg. Der plumpe Lawler verlässt sein Dingi und probiert es auch mit whale walking. Weil er sein Gleichgewicht mit Hilfe der Harpune hält, verursacht er beim Gehen blutige Schnittwunden, rutscht mehrfach aus, schafft es aber, auf den Füßen zu bleiben. Ekborg und Stempel stehen am Ufer und verspotten ihn lautstark wie Burschenschaftsbrüder bei einem Aufnahmeritual. Brock und Dennis treiben ruhig in ihren Kajaks und warten, bis sie an der Reihe sind.
    Wenig später sind alle fünf Männer kletternd und planschend auf dem breiten Strand am Ende der Bucht angekommen. Sie drängen sich zusammen und besprechen das weitere Vorgehen. Dann ziehen sich die beiden Besatzungsmitglieder zu Felsblöcken hinter dem Strand zurück, wo er in einen Hang mit verworrenem Buschwerk übergeht. In der hohlen Hand steckt Dennis sich eine Zigarette an. Anscheinend überlassen sie die Ehre den zahlenden Gästen.
    Das Harpunieren beginnt. Sie stechen und stechen. Das Wasser am Ende der Bucht verfärbt sich zuerst rosa, dann rot. Schon bald ist der Sand in der Nähe des Wassers rötlich braun, und der Meerschaum hat die Farbe von Wein.
    Wie bei allen Jobs kommt auch beim Töten der Punkt der Langeweile. Und es gibt Herausforderungen. Ekborg, Stempel und Lawler müssen immer tiefer und tiefer hineinwaten, um an noch lebende Wale heranzukommen. Ihre Gummistiefel sind nicht hoch genug. Sie hätten nicht so weit ab vom Ufer aus ihren Dingis steigen sollen.
    Nach einiger Diskussion stapfen die Besatzungsmitglieder die Felsen und den schmalen Strand entlang zurück, um die verlassenen Boote einzusammeln und zum Strand zu bringen. Jetzt können Ekborg, Stempel und Lawler aus den kleinen Booten das Töten fortsetzen.
    Die Sonne geht unter, hinterlässt rosa Streifen und ein röt­liches Band. Der Osthimmel ist zu einem tiefen Indigoblau gereift. Schwach sind Sterne zu erkennen.
    Ich habe weder über den Rand der Kamera gesehen, noch habe ich mich zu Parnell und Martin umgedreht, die beide von Zeit zu Zeit leise Flüche ausgestoßen haben. Aber schließlich schweigen sie, und jetzt scheint einfach alles – die ganze arktische Welt – verstummt zu sein. Dann begreife ich: Die unheimliche Stille kommt daher, dass die Narwale mit ihrem klickenden Geplapper aufgehört haben. Selbst die noch lebenden sind still.
    Endlich kehren die Jäger an den Strand zurück, bahnen sich mit Paddeln einen Weg durch die Walleiber, die sich verteilt haben und gesunken zu sein scheinen, wodurch mehr Platz entstanden ist. Sie verlassen ihre Boote, ziehen sie an den Strand und machen einige Minuten Pause. Ihre Kleider sind blutgetränkt, ihre Gesichter und Haare von Blut überzogen. Es sieht aus, als wären etwa sechzig Narwale tot, etwa die Hälfte der wandernden Herde.
    Ekborg geht in großen Schritten ans hintere Ende des Strandes, wo Brock etwas Langes und Schweres, das in eine Plane gewickelt ist, zwischen den Felsblöcken herauszieht. Die Persenning wird auseinandergefaltet, und zum Vorschein kommt eine glänzende Metallsäge, die dort zu einem früheren Zeitpunkt deponiert worden sein muss. Ekborg hebt sie hoch und richtet das Blatt vergnügt gen Himmel.
    Er beginnt, Stoßzähne abzusägen. Wegen der Lage der Tiere und den wechselnden Tiefen des seichten Wassers, durch das er watet, muss er sich gelegentlich verrenken – stellt einen Fuß auf eine Schnauze oder beugt den Oberkörper über einen melonenförmigen Kopf, um an den Stoßzahn heranzukommen, der halb hinter Walspeck verborgen ist. Die Männer am Ufer sehen feucht, kalt und

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