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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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berichten, wie die Huskys, wenn sie das Ende der Iditarod-Rennstrecke erreichen, einfach kehrtmachen und zurücklaufen wollen. Ein Lachen perlt in mir hoch. Diese verrückten Hunde! Ich sehe ihre leuchtenden Augen, höre ihr freudiges Bellen. Dann erklingt wie ein warnendes Nebelhorn die Stimme des Navy-Arztes zwischen meinen Ohren: Finger weg von der Ausrüstung.
    Leck mich , antworte ich ihm.
    Halt verdammt noch mal die Schnauze , sagt er. Sein Glühbirnenkopf leuchtet auf mit neuem Wissen. Die Daten belegen, dass der physiologische Prozess sich umgekehrt hat. Umgekehrt. Um­gekehrt, umgekehrt.
    Gelassenheit breitet sich in mir aus. Ich muss es glauben. Wir sind nicht alle gleich. Aus Gründen, die ich nie erfahren werde, ist dieser Moment mein Geburtsrecht, wofür ich geschaffen wurde. Niemand hat gesagt, es wäre lustig.
    Ich schwimme über das Netz und spüre es nur, weil mein tretendes Bein den dicht unter der Wasseroberfläche treibenden Rand berührt. Ich packe das obere Seil, ziehe mich etwa zehn Meter daran entlang zu der Boje am Ende.
    Die Sonne ist zu einem roten Nadelstich am Horizont geschrumpft. Ich sehe sie schwanken, dann verschwinden. Augenblicklich wird das Meer schwarz, und der Nachthimmel wird ­lebendig. Ein intensives, dunkles, samtiges Blau. Kein Mond. Flackernde Sterne. Kalte, saubere Luft, eine erwartungsvolle Stimmung.
    Meine Finger sind taub, aber mit den Handflächen kann ich den dicken Knoten spüren, der das Netz an der riesigen Boje befestigt, die nicht aus Kork ist, wie Martin sagte, sondern aus Hartgummi, und obendrein erheblich größer, als es vom Ufer aussah. Bei der Befestigung ist auch noch Draht im Spiel, und eine Kette wie eine Lotschnur oder Belegleine, die auf den Meeresboden absinkt und dann verhindert, dass das untere Ende auftreibt. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Am liebsten würde ich frustriert losbrüllen, wütend auf mich selbst. Ich bin nackt, halb ertrunken und unterkühlt. Ganz sicher hab ich kein Messer mitgenommen. Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Wie um alles in der Welt soll ich eine Boje im Meer bewegen oder ein riesiges megaschweres Netz?
    Jetzt, das Ziel so dicht vor Augen und doch so unerreichbar, fange ich heftig an zu zittern. Meine Zähne klappern, meine Rippen fühlen sich an, als könnten sie bersten. Es ist, als ob ein Riss in meiner Willenskraft (oder war es ohnehin die ganze Zeit nur eine Wahnvorstellung) meinen Körper ebenfalls zusammenbrechen lässt. Ich versuche es, aber meine steifen Hände schließen sich kaum um den Knoten. Ich kann nichts tun. Das Netz ist fest angebunden.
    Ich denke, dass alles hier aufhört, einfach so, in diesem eisigen Wasser, und ich schimpfe mich eine Närrin. So dicht an der Bucht spüre ich das Ziehen einer Strömung. Es ist Ebbe, das Wasser verlässt die Bucht. Sofern ich mich nicht an irgendetwas festhalten kann, riskiere ich, aufs Meer hinausge­zogen zu werden.
    Ich schlinge meine Beine um das obere Seil des Netzes, hake einen Arm um den unteren Teil der Boje, wo sie mit der Ankerkette verbunden ist. Ich werde hierbleiben müssen, bis mich ­jemand holen kommt. Wo sind Martin und Parnell? Der herzensgute Martin, er hat mich beim Wort genommen. Inzwischen wird er Parnell mein Geheimnis verraten haben, ihm ­gesagt haben, er solle mich gehen lassen. Der einarmige Parnell kann wahrscheinlich ohnehin nicht schwimmen. Falls einer von beiden mir folgen sollte, wird er es aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso nicht so weit raus schaffen, geschweige mit mir im Schlepptau zurück ans Ufer. Und ein Boot gibt es nicht.
    Ich sollte jetzt zurückschwimmen, bevor ich noch erschöpfter werde. Aber die Aussicht darauf macht mich schwach vor Angst. Ich habe mein Durchhaltevermögen verloren, meinen Vorteil, und der Weg zurück ist chaotisch und gefährlich.
    Vielleicht schaffe ich es zu der Felswand hinter mir, kann mich dort entlangziehen, bis ich eine Stelle finde, an der ich hinauskriechen kann. Vielleicht. Ich höre leises Platschen, wo das Wasser auf die Klippe schlägt. Oder sollte ich mich das Netz entlang zu der anderen Boje ziehen und mein Glück auf der Seite der Bucht versuchen, wo die Felswand nicht ganz so hoch ist? Oder ich könnte mich auch von der Strömung sanft auf die Galaxy zutreiben lassen, irgendwie die Heckleiter erreichen und dann an Bord kriechen. Nackt und ausgelaugt, ein todgeweihter Fisch zappelnd an Deck.
    Es fühlt sich alles schwierig an, sehr schwierig. Je mehr ich nachdenke,

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