Die Frau die nie fror
Schleifchen und Gürteln und passendem dies und das.
»Ich mag voluminöse Mäntel«, sage ich.
In ihrem Testament hat meine Mutter den Mehrheitsanteil an Inessa Mark, Inc. komplett ihrem Mann hinterlassen, unter einigen Bedingungen – erstens, wenn ich wollte, würde ihr Anteil an meinem einundzwanzigsten Geburtstag auf mich übergehen, und zweitens, wieder, wenn ich es wollte, würde die gesamte Firma nach seinem Tod an mich fallen. Natürlich wollte ich das. Für mich ist Inessa Mark, Inc. meine Mutter, die Verbundenheit mit meiner Mutter und mein Schicksal. Es ist ein heiliger Treuhandfonds, der meinem Leben einen Sinn und eine Richtung gegeben hat und mich, als ich um die zwanzig war, vor den typischen Krisen der Gleichaltrigen bewahrt hat. Nachdem ich neben meinem Studium an der UMass halbtags in der Firma gearbeitet und einfache Jobs ausgeführt hatte, war ich froh, nach dem Examen in eine Vollzeit-Management-Position aufsteigen zu können. Milosa nahm es in Angriff, mir die geschäftliche Seite der Firma beizubringen, und als mein Können und mein Selbstbewusstsein langsam wuchsen, zog er sich nach und nach zurück. Er hatte sowieso nie die Firma geliebt, sondern meine Mutter. Heutzutage kommt er nicht häufiger als ein- bis zweimal wöchentlich in das Büro in der Boylston Street, während Maureen, wie üblich, alles am Laufen hält. Ich finde es immer wieder seltsam und erstaunlich, wie drei so unterschiedliche Individuen, die innerhalb eines so komplizierten Netzes aus Spannungen leben, es trotzdem schaffen, halbwegs vernünftig zusammenzuarbeiten.
Jeffrey, unser Koch und Haushälter, kündigt an, das Essen sei fertig, und Maureen und ich gehen ins Esszimmer. Der Tisch ist mit einer eindrucksvollen Menge an Porzellan, Tafelsilber und Kristallgläsern gedeckt. An jedem Platz steht eine Ansammlung von Wedgwood-Tellern und Waterford-Gläsern; zwei verschwenderisch gedrehte Kerzenleuchter; und in der Mitte ein wunderschönes Arrangement weißer Lilien in einer geschliffenen Glasvase. Die Wände des Raums sind in hellem Erbsengrün gestrichen, eine authentische Kolonialfarbe, und ein abgewetzter orientalischer Teppich erstreckt sich über den Boden. Royal-Doulton-Figuren bevölkern die Regalbretter der Queen-Anne-Anrichte; und die Fenster zur historischen Kopfsteinpflasterstraße, in der es inzwischen dunkel ist, werden von goldenen Seidenvorhängen umrahmt, zurückgehalten von verzierten Quasten. Jedes Mal, wenn ich diese Bastion gekünstelter Traditionen betrete, möchte ich schreien. Obwohl er es vehement abstreiten würde und sich oft so verhält, als wäre das genaue Gegenteil der Fall (und damit noch Öl ins Feuer gießt), ist Milosa seine ärmliche, russische Herkunft zutiefst peinlich. Also benimmt er sich großindustrieller als die Großindustriellen und neuenglischer als die Neuengländer. Beacon Hill hatte noch nie einen loyaleren unehelichen Sohn als ihn.
Maureen und ich nehmen unsere Plätze am Tisch ein – Maureen an dem einen Ende, ich in der Mitte. Milosas Platz bleibt leer. Er kommt immer zuletzt zum Essen: Die anderen warten zu lassen ist seine Art, Herrschaft auszuüben. Jeffrey kündigt das Menü an: Schwertfisch mit sonnengetrockneten Tomaten und schwarzer Tapenade, Knoblauchrisotto, grüne Bohnen mit Mandeln und Landbrot aus der nahe gelegenen Bäckerei.
»Jeffrey, die Vorhänge«, sagt Maureen und winkt leicht mit dem Zeigefinger.
Er zieht sie zu und eilt aus dem Esszimmer, das leuchtende Geschirrtuch, an dem er seine Hände abwischt, flattert aus seiner Gesäßtasche. Ein paar Sekunden später ist er mit zwei kleinen Tellern zurück. Riesenshrimps auf einem Bett aus zerstoßenem Eis neben Silberschalen mit Cocktailsoße und Meerrettich.
Maureen winkt die Teller fort. »Lassen Sie uns mit der Vorspeise warten, bis Mr Kasparov sich gesetzt hat.«
Jeffrey wirft mir einen Also wirklich! -Blick zu.
Milosas Schritte sind auf der Treppe zu hören. Als er den Raum betritt, knallt Jeffrey Maureen den Teller vor die Nase. Milosa setzt sich, wir drei schütteln unsere Leinenservietten aus und legen sie uns auf den Schoß.
»Was mit dir passiert ist, ist wirklich außergewöhnlich«, erklärt mein Vater. Er spricht mit einem russischen Akzent und kommt immer direkt zur Sache. Wir haben uns seit dem Unfall nicht gesehen, und wie üblich hat Maureen das Abendessen veranlasst.
Er nimmt einen pinkfarbenen Shrimp mit den Fingern auf, inspiziert ihn und stopft ihn sich ganz in
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