Die Frau die nie fror
geeignet, im Miniaturformat aus Kunststoff gegossen und im Norden auf kalte Fensterbänke gestellt zu werden, als Beweis für die Existenz der Tropen. Durchschnittliche Temperatur im September: achtundzwanzig Grad.
Ich war nie ein großer Fan des Militärs. Ich habe nichts dagegen, aber ich wollte einfach nie bei den ganzen Kriegsangelegenheiten mitmachen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass man aus dieser Sache nicht so leicht rauskommt – Dienst am Vaterland und so weiter –, und außerdem muss ich etwas tun, um zu verhindern, dass ich den Telefonhörer abnehme, wenn er wieder anruft. Und in Florida kann mich wenigstens die Sonne wärmen.
*
Zwei große, graue Augen sehen mich an. Die Iris ist von einem dunklen Rand umgeben, und schwarzer Kajalstift umrahmt das obere und untere Lid. Der Eyeliner und die dunklen Irisringe bilden fast konzentrische Kreise um die Pupillen. Sie haben eine hypnotisierende Wirkung. Wenn man lange genug in diese Augen schaut, hat man das Gefühl, man könne darin versinken.
Das Haar ist weißblond und rund um den Kopf auf ungefähr drei Zentimeter abgeschnitten. Nur am Scheitel stehen ein paar widerspenstige Locken gerade nach oben. Offensichtlich ist es keine normale Frau. Sie sitzt auf einer Parkbank, in einem langen, ausladenden Mantel. Es schneit. Der Hintergrund des Fotos ist flach und unscharf, überbelichtet. Nur zwei Reihen dunkler Buchsbäume sind zu erkennen, die sich in die Ferne erstrecken, dazwischen ein weißer Korridor, makellos und kalt. Winzige Schneeflocken haben sich auf die Schultern der Frau gesetzt und glitzern in ihrem Haar. Oben ist ihr Mantel offen, darunter, das sieht man, ist sie nackt. Ihre Brüste sind klein, sehr weiß und rund, das Mantelrevers verbirgt die Nippel.
Am unteren Rand des Fotos steht in einer lockeren Handschrift wie auf einem Promi-Autogramm: L’Amour du Nord. Von Inessa Mark. Dies waren die Anzeige und der Duft, der der jungen Parfümfirma meiner Mutter nationale Aufmerksamkeit und irgendwann auch internationalen Erfolg bescherte.
Das Foto ist riesig; es nimmt eine ganze Wand in Milosas Stadthaus in Beacon Hill ein. Ich glaube, zuerst hat er es zur Schau gestellt, um seine Flittchen einzuschüchtern. Wenn sie erst einmal ihre berühmte, eindringliche Schönheit sahen, dachte er, würde ihnen klarwerden, dass sie sich noch so sehr anstrengen, aber trotzdem nie bis zu dieser Stufe seiner ersten und wahrscheinlich einzigen Liebe aufsteigen könnten. Ich glaube nicht, dass es irgendeine groß gekümmert hat. Sie schienen froh genug zu sein, ein Übernachtungs- oder Wochenendgast von Milosa Kasparov zu sein, den sie Mike nannten.
Maureen war anders – intelligenter, zielstrebiger. Als junge Marketingleiterin war sie die logische Wahl für die Übernahme des Tagesgeschäftes, als meine Mutter starb. Sie hatte Inessa Mark, Inc. fest in ihrer Hand, während sich Milosa mehrere Jahre lang depressiven Ausschweifungen hingab, die mit der Hochzeit der beiden endeten. Sie hat die Firma gerettet, und ihn. Sie verdient eindeutig mehr Achtung, als ich bereit bin, ihr entgegenzubringen.
Nun kommt sie näher und reicht mir ein langstieliges Glas Weißwein. Perfekt geeist, kühlt es die Innenfläche meiner Hand. Maureens Gesicht ist ein niedliches auf der Spitze stehendes Dreieck; ihre Hände sind so klein wie die eines Mädchens. Sie steht freundschaftlich neben mir, den Kopf geneigt in lockerer Abschätzung ihrer Vorgängerin. »Sie war zauberhaft, oder?«
Maureen streckt ihre Worte so lang, dass man gar nicht anders kann als zuhören. Der träge Tonfall klingt leicht südlich, obwohl sie in einem gewöhnlichen Bostoner Vorort aufgewachsen ist, einem jener Orte, die mit ihrer durchdachten Bequemlichkeit und Unbehaglichkeit die Menschen verflachen lassen.
»Aber diese voluminösen Mäntel, das war kein besonders attraktiver Stil, findest du nicht auch?« Sie zieht eine Augenbraue hoch, als wären wir Schwestern, die sich etwas aus solchen Dingen machten.
Stilbildung ist etwas, um das sich Maureen zeitlebens bemüht hat; Stil bei Düften, Einrichtung und Kleidern. Im Moment trägt sie ein dunkelgrünes Etuikleid aus Satin, nackte Beine und Ballerinas, zweifellos für das Abendessen. Normalerweise läuft sie barfuß im Haus herum, aber immer in einem Kleid. Sie muss über hundert davon in ihrem Schrank haben, die meisten sehen leicht nach Kostümierung aus, wie bei Barbie. Sie neigt dazu, sich wie ein Geburtstagsgeschenk anzuziehen, mit
Weitere Kostenlose Bücher