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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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mitreißen lassen, mein Verstand nicht ausgesetzt hätte oder ich nicht schon mal das Gefühl gehabt hätte, die Strohhütte, in der mein Herz schlägt, wäre über Nacht zu einem Palast geworden. Aber der Palast wurde jedes Mal geplündert, die großen Hallen in Schutt und Asche gelegt. Bei dem Gedanken an mein letztes Debakel mit einem Kerl, bei dem sich herausstellte, dass er verheiratet war, fühle ich mich immer noch mies. Also sehe ich Lügner-Larry und seine Frage auf den Lippen mit kaltem Blick an, rolle ein dickes Nein auf meine Zungenspitze und bin bereit, es abzufeuern.
    Aber statt mich zu fragen, ob ich mit ihm ausgehen möchte, will er wissen, was ich am liebsten esse. Er lässt es langsam an­gehen.
    Ich mag alles, sage ich. Nahrung sei ein Geschenk Gottes, und ich hätte keine Vorlieben.
    Er erzählt, er würde gern Indisch kochen. Sein Hühner-Curry sei besonders gut.
    Ich gratuliere ihm und knöpfe derweil meinen Mantel zu. Er sollte zügig fragen, denn sonst bin ich aus der Tür.
    »Würden Sie –?«
    »Nein! Weil Sie gelogen haben. Sie sind nicht mit Ned zur Schule gegangen.«
    »Ich meinte Grundschule, nicht Highschool.«
    »Nein, nein, nein. Sie haben nicht Grundschule gesagt. Sie sagten South Boston High . Außerdem haben Sie keinen Bos­toner Akzent. Wenn Sie sich schon als Stadtmensch ausgeben wollen, hätten Sie sich zumindest den Bostoner Akzent zulegen können.«
    Er blinzelt nicht. Sagt nichts.
    »Sind Sie so ein Anwalt, der mit Unfallopfern sein Geld macht? Spezialisiert auf Personenschäden? Oder nur so ein verkorkster Typ, der uneingeladen auf Partys aufkreuzt?«
    »Sehen Sie, ich habe mich gefragt, falls Sie mal darüber reden wollen, was da draußen passiert ist –«
    »Wo draußen?«
    »Auf dem Atlantik. Falls Sie sich noch an Details erinnern –«
    »Mein Gott, Sie sind einer dieser Anwaltstypen, stimmt’s? Geben Sie mir jetzt Ihre Karte, oder was? Was für ein Mistkerl sind Sie? Sie gehen auf eine Beerdigung und machen so was?«
    »Vermutlich hab ich’s nicht anders verdient.« Er blinzelt langsam, schämt sich, lässt aber den Sturm über sich ergehen. »Hier ist meine Nummer. Falls Sie später reden möchten. Falls es etwas, irgendetwas gibt, das Sie mir sagen möchten.«
    Er gibt mir mit der linken Hand einen Zettel. Mir fällt jetzt auf, dass er die rechte Hand kaum bewegt. Es ist nicht wie ein Stück rohes Fleisch, das am Ende seines Arms baumelt, sondern eher wie ein Päckchen, das er fest an seine Seite drückt. Es zeugt von Geschicklichkeit, dass mir seine Lähmung nicht früher aufgefallen ist.
    Er tut mir nicht leid. Mitleid ist kränkend. Und ich bin verdammt angepisst. Ich stopfe den Zettel in meine Tasche und bin aus der Tür.
    Eine kühle, feuchte Nacht. Das Neon-Kleeblatt über dem Pub spiegelt sich in einer Pfütze auf dem Gehweg. An einer verlassenen Kreuzung springt die Ampel auf Rot. Ich überquere die Straße, gehe und atme, gehe und atme. Wenn ich momentan nicht gerade die Klänge von Dudelsackmusik höre oder mich mit Tauben anfreunde, bin ich wütend – auf kleine Dinge, große Dinge, auf alles. Zu überleben sollte einen Menschen dankbar machen, und das bin ich. Aber ich bin auch wütend, als wäre ein Teil von mir, den ich wirklich brauche, da draußen auf dem Atlantik gestohlen worden, und nun bin auch ich irgendwie ein Krüppel.
    Am Ende des Häuserblocks schaue ich über die Schulter. Er steht auf dem Bürgersteig, hat den Kragen aufgestellt, die Brillengläser schimmern. Dann wendet er sich leicht ab und tut so, als wäre er mir nicht mit Blicken gefolgt.

Kapitel 5
    A m nächsten Abend, zurück von der Arbeit, greife ich geistesabwesend nach dem klingelnden Telefon auf dem Küchentresen. Als ich jedoch die Nummer des Anrufers sehe, erstarrt meine Hand mitten in der Bewegung. Er ist ein bisschen spät dran mit seinen Beileidsbekundungen und damit, mir zu meinem Überleben zu gratulieren. Aber andererseits überrascht es mich, dass er überhaupt anruft, wenn man daran denkt, welche Worte bei unserem letzten Treffen gefallen sind. Wie er betonte (und darin ist er immer sehr flott), hätte er nie versprochen bla, bla, bla … Das Einzige, was er mir schuldete, wäre Ehrlichkeit. Ich habe mit » Analysiere dieses Koan: Der betrügende Ehemann redet von Ehrlichkeit« gekontert.
    Ich hebe den Hörer nicht ab, und er beginnt, mir eine Mitteilung aufs Band zu sprechen: »Pirio? Pirio? Bist du da? Ich habe die Nachrichten gesehen. Entschuldige, dass

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