Die Frau die nie fror
und der Kaffeemaschine. Ich bleibe allein mit Libby Smith in einer Ecke zurück. Mit einem zerknüllten Taschentuch tupft sie sich ihre Augen.
»Tut mir leid. Es fällt mir nur so schwer, daran zu denken, was passiert ist.« Sie stopft das Taschentuch in den Ärmel ihrer Strickjacke. »Aber, sehen Sie sich nur an … Sie sind hier und sehen so gut aus.«
»Vielen Dank, Mrs Smith. Es ist sehr nett von Ihnen, das zu sagen. Wissen Sie, ich wollte Sie etwas fragen.« Ich mache ein paar allgemeine Bemerkungen über Noah, seine Mutter und wie die zwei zurechtkommen, dann erwähne ich das Boot und schneide das Thema Versicherung an. Ganz zum Schluss sage ich, es sei mir zu Ohren gekommen, dass Ned die Molly Jones von Ocean Catch für einen Dollar gekauft haben soll. »Darüber wissen Sie nicht zufällig etwas, oder?«
Sie scheint erstarrt zu sein, ihre Augen sind plötzlich vollkommen trocken. »Ich fürchte, darüber kann ich nichts sagen. Vielleicht sollten Sie besser mit Mr Hall sprechen.« Sie führt mich aus der Kantine zu einer holzvertäfelten Tür am Ende des Korridors.
Dustin Halls Büro ist mit dunkelblauem Teppich ausgelegt, die Möbel sind aus schwerem Mahagoni und die Sessel aus Leder. Hinter seinem Schreibtisch hängt eine riesige Karte des Nordatlantiks.
Er wirkt überrascht, mich zu sehen, bietet mir aber dennoch einen Platz an. Libby Smith zieht sich schnell zurück. Da ich jedoch weiß, dass die zwei sich wahrscheinlich früher oder später darüber unterhalten werden, bleibt mir gar keine andere Wahl, als den angebotenen Platz anzunehmen und meine gezielte Frage noch einmal zu stellen.
Mit bemerkenswerter Gewandtheit gelingt es Hall, die Stirn leicht zu runzeln und gleichzeitig freundlich zu lächeln. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Sie auf diese Idee kommen.«
Ich beschreibe die Eigentumsurkunde und den Kaufvertrag aus Neds Schreibtisch.
Er behauptet, er wüsste nichts von einem solchen Geschenk. Ocean Catch habe eine Flotte von Trawlern und Fangschiffen für die Langleinenfischerei, besäße aber keine Hummerkutter, da die Firma weder jetzt noch zu irgendeinem früheren Zeitpunkt in der Hummerbranche tätig gewesen sei. Und selbst wenn sie einen Hummerkutter besäßen, wäre es höchst ungewöhnlich, einem ehemaligen Mitarbeiter ein solches Geschenk zu machen. Nichtsdestoweniger werde er die Angelegenheit prüfen und sehen, was er herausfinden kann, und sollte er weitere Informationen erhalten, würde er sich auf alle Fälle bei mir melden. Das war’s. Eine makellose Wand aus Professionalität. Es hat keinen Sinn, sich an solchen Leuten den Schädel einzurennen, denn mit jeder Parade werden sie nur noch freundlicher und gönnerhafter. Ich bedanke mich und gehe.
Ich stehe in dem hell erleuchteten Großraumbüro und warte auf den Fahrstuhl, als plötzlich Libby Smith neben mir auftaucht. Die Fahrstuhltür öffnet sich, und wir betreten gemeinsam die enge Kabine.
»Mögen Sie Hunde?«, fragt sie, als unsere Spiegelbilder in den sich schließenden Edelstahltüren erscheinen. Bevor ich antworten kann, gibt sie mir das Foto eines Cockerspaniels. »Das ist Jasper. Mein Baby. Er ist elf Jahre alt.«
Der Hund sieht aus wie ein x-beliebiger Cockerspaniel. Zerzaust und ein bisschen doof.
»Ich gehe mit ihm immer um sechs Uhr abends um den Jamaica Pond spazieren. Wissen Sie, wo das ist?«, fragt sie.
Ich antworte, ich würde nicht weit davon entfernt wohnen.
»So ein schönes Fleckchen für einen Abendspaziergang. Sie sollten mich schon bald mal begleiten«, sagt sie überraschend entschieden, als wäre es wichtig, dass ich die Einladung annehme.
»Wie wär’s mit heute Abend?«
»Perfekt.« Die Tür gleitet auf, wir steigen im Erdgeschoss aus und gehen unserer eigenen Wege, als hätten wir nie miteinander gesprochen.
*
Nacht legt sich über die Erde, doch am westlichen Horizont sieht man immer noch ein perlmuttfarbenes Schimmern. Libby Smith sitzt auf einer Bank vor dem Bootshaus. Sie trägt eine Segeltuchjacke mit aufgesetzten Taschen und eine bunte, gehäkelte Mütze. Jasper hat sich neben ihr niedergelassen und legt nach Hundeart neugierig den Kopf schräg, als ich mich nähere.
»Gehen wir ein wenig«, sagt sie, und wir machen uns auf den Weg, der sich um den See herumzieht. Sie macht kleine Schritte in abgetragenen braunen Mokassin-Schnürschuhen. Der Bommel auf ihrer Mütze hüpft kurz unterhalb meiner Schulter auf und ab. Jasper trottet an einer bestickten Leine vor uns
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