Die Frau die nie fror
nicht danach, jetzt hier großartig rumzukurven und einen Parkplatz zu suchen, also stellen Sie ihn einfach vor der Kirche ab. Ich nehm das Bußgeld in Kauf. Wer weiß? Vielleicht hab ich ja auch Glück. Um diese Uhrzeit stehen die Chancen fifty-fifty, würde ich sagen. Was meinen Sie?«
»Ihre Entscheidung.«
Er nickt bedächtig. »Was zum Teufel haben Sie überhaupt da draußen gemacht?«
»Ich habe auf dem Boden vor dem Rücksitz Ihres Autos gelegen.«
Er lacht ein bisschen irre. »Klar. Wo sollten Sie auch sonst schon sein?« Er deutet hinter sich. »Die Kirche ist da hinten rechts.«
Ich lege meinen Arm über die Rückenlehne und setze langsam zurück, denn eines der Räder macht immer noch ein merkwürdiges schepperndes Geräusch. »Wissen Sie, wer diese Männer waren?«
»Keine Ahnung.«
Ich trete auf die Bremse. »Sie meinen, Sie wissen nicht, wer versucht hat, Sie umzubringen?«
»Nein. Sie? Haben Sie sie erkannt?«
Ich klappe meinen offen stehenden Mund wieder zu. Ich kann seinen Namen nicht aussprechen: John Oster. Er ist immer noch mein Freund. Irgendwie. Er war definitiv Neds Freund. Und mit wem rede ich denn hier überhaupt? Mit einem Versicherungsdetektiv namens Wozniak? Besser, die Dumme zu spielen. Ich glaube ohnehin nicht, dass Johnny Wozniak getötet hätte. Er ist ein Fischer, kein Mörder. Er und seine Jungs haben schließlich den Störenfried von der Beerdigung gefunden und ihm einen Denkzettel verpasst. Nach Bostoner Art. Mehr war das nicht, denke ich. Aber wissen tue ich es nicht.
»Lassen Sie uns bitte nicht hier mitten auf der Straße vor der Kirche stehen bleiben, okay? Muss ja nicht die ganze Nachbarschaft wissen, dass ich hier verbotenerweise parke«, sagt Wozniak.
»Ich glaube, die meisten schlafen sowieso.«
»Ha! Das ist etwas, das Sie über das North End nicht wissen. Diese Stadt hat Augen.«
Ich setze in die Lücke zurück und schalte den Motor aus. Er seufzt erschöpft, bedankt sich, dass ich gefahren bin, und öffnet die Tür, um auszusteigen.
»Moment. Was ist mit mir?«
»Sie kommen mit.« Er lächelt, seine blutigen Zähne rosa im Schein des Armaturenbretts.
Kapitel 18
U ngefähr einen Block von Ocean Catch entfernt hat sich ein Wagen hinter mich gesetzt«, sagt der Larry-Wozniak-Imitator. »Keine Ahnung, woher der andere kam.«
Er dreht den Wasserhahn der Spüle zu. Seine schmutzige Brille liegt auf der Arbeitsfläche. Die letzten Minuten hat er sich Wasser ins Gesicht und auf den Hals gespritzt, Blut und Dreck abgewaschen und dabei sein T-Shirt komplett durchnässt. Einmal hat er den Kopf ganz unter den Wasserhahn gehalten, und etwas Blut löste sich von seiner Kopfhaut und floss dann durch seine faserigen Locken. Jetzt ist sein Gesicht sauber und kreideweiß, bis auf ein von einer feinen roten Linie durchschnittenes Hämatom, das auf seinem Wangenknochen blüht. Er steht leicht zur Seite gebeugt, wie eine kaputte Marionette. Den ganzen Weg von seinem Auto, den Bürgersteig entlang und die vier (sehr schmalen) Treppenabsätze hinauf zur Wohnung ist er vornübergebeugt gegangen und hat die rechte Seite seines Rumpfs geschont.
Keine Macht der Welt könnte eine Krankenschwester aus mir machen. Ich bin eine Kasparov. Wenn ich als Kind mal einen Kratzer oder eine Prellung hatte – einmal sogar einen gebrochenen Arm –, wies Milosa gern darauf hin, dass Sympathie im Wörterbuch direkt zwischen Scheiße und Syphilis steht. Als ich meine stolzen Teenagerjahre erreichte, legte ich mich mit ihm an. Beim besten Willen könne ich nicht verstehen, was denn daran so schwer sei, ein kleines bisschen Sympathie zu zeigen. Er starrte mich an, als wäre ich eine summende Stechmücke, und erläuterte seinen Standpunkt: »Gefühle sind wie Geld. Ist es erst einmal ausgegeben, dann ist es weg. Deshalb verschwende deine Gefühle nicht für Dinge, die es nicht wert sind. Eine Prellung heilt wieder, was gibt’s da also großartig zu bemitleiden? Ein gebrochener Knochen wird anschließend kräftiger. Wenn jemand dir absichtlich weh tut, spar dir dein Selbstmitleid und steck deine Energie in Rache.«
»Es geht hier nicht um eine Prellung. Es geht um mich« , stellte ich klar.
Was ihn wütend machte. »Was? Wer bist du denn? Dein Fleisch? Deine winzige Wunde? Pah! Dein Körper ist nichts, er wird krank und stirbt. Wenn das Pirio ist, verabschiede ich mich jetzt schon von dir.« Wenn er so wurde, war es das Klügste, zu schweigen und ihn zetern zu lassen.
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