Die Frau die nie fror
Schon möglich, dass er bei Gogol anfing, dann über die Perestroika auf den amerikanischen Aktienmarkt und schließlich zu einem Dreckskerl von Onkel namens Lusvin kam, der sein Maultier schlug und den er abgrundtief hasste. Irgendwie untermauerte das alles seinen Standpunkt, obwohl dieser Standpunkt in der Regel kaum nachvollziehbar war. Jedenfalls, wenn man ein Pflaster wollte, musste man es sich selbst holen. Eine lausige Ausrede, warum ich nicht gleich aufspringe, um mit Wundbenzin seine Schnittverletzungen abzutupfen, oder darauf bestehe, dass wir sofort in die Notfallambulanz fahren, um seine Rippen röntgen zu lassen.
Wozniak hält seine Brille unter das fließende Wasser, trocknet sie mit einem Handtuch ab und schiebt sie sich auf die Nase. Er beginnt, seine nassen Haare mit dem Handtuch trocken zu rubbeln, und setzt sich mir gegenüber an einen winzigen weißen Resopaltisch, der sich an die Wand der Kochnische drängt.
Ich frage, ob er sich irgendeinen Grund vorstellen könne, warum ihm jemand etwas antun sollte.
Er fragt, was ich in seinem Auto gemacht hätte.
Ich erinnere ihn, dass ich ihm das Leben gerettet habe.
Er seufzt. »Ich habe Hinweise für eine … nun, sagen wir mal, etwas ungewöhnliche Beziehung zwischen Ocean Catch und einem japanischen Großhändler namens Soga Fisheries.«
Ich bitte ihn fortzufahren.
»Früher hat Ocean Catch seine Ware in alle Welt verkauft, wer auch immer der Meistbietende war. Seit etwa drei oder vier Jahren verkaufen sie fast ausschließlich an Soga. Heute gehen etwa fünfundsiebzig Prozent des Fanges – das sind jährlich mehrere Millionen Pfund Fisch – jede Woche in Eis gepackt per Luftfracht direkt nach Tokio. Soga zahlt dafür Höchstpreise, deutlich über dem aktuellen Marktwert.«
»Klingt nach einem guten Geschäft für Ocean Catch.«
»Es ist mehr als das. Wenn Soga nicht ins Spiel gekommen wäre, hätte die Firma wenige Monate später Insolvenz anmelden müssen. Im Grunde hat das Geschäft mit Soga den Niedergang von Ocean Catch verhindert. Seitdem halten sie die Firma quasi im Alleingang über Wasser.«
Inzwischen hat er wieder etwas Farbe im Gesicht. Er wirft das Handtuch auf die Arbeitsplatte. »Sehen Sie, im Laufe der letzten zehn oder mehr Jahre ist die gesamte Grundfischindustrie kontinuierlich geschrumpft, und in den letzten Jahren sind überall Fischereiunternehmen pleitegegangen. Ocean Catch stand kurz davor, im Rahmen eines Übernahmeprogramms der Regierung seine gesamte Flotte in klingende Münze zu verwandeln. Aber aus irgendeinem Grund, und noch dazu ziemlich schnell, wurde der Abwärtskurs der Firma gestoppt und umgekehrt, und man begann, wieder schwarze Zahlen zu schreiben.«
»Dann liefert Ocean Catch vielleicht nicht nur Fisch an Soga. Haben Sie eine Idee, worum es hier geht?«
»Genau das versuche ich herauszufinden.«
Sein Pokerface ist perfekt: ausdruckslos und undurchdringlich. Aber ich bin ziemlich sicher, dass er mehr weiß, als er sagt. Sollte er tatsächlich nichts wissen, gibt es höchstwahrscheinlich immer noch den USB -Stick in seiner Tasche, mit Halls und Jacobsens Dateien. Am besten fordere ich ihn jetzt gleich auf, Farbe zu bekennen.
»Was ich noch sagen wollte, ich weiß, dass Sie nicht für Jackson Hartwell arbeiten, und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Sie nicht Larry Wozniak heißen.«
Er lächelt leicht und lässig, als sei er bei etwas erwischt worden, was seiner Meinung nach gar nicht so schlimm ist. »Tut mir leid. Russell Parnell, Journalist. Die meisten nennen mich einfach Parnell.«
»Zuerst Freund des Verstorbenen, dann Versicherungsagent, jetzt Journalist. Ich wäre verrückt, wenn ich Ihnen auch nur ein Wort glauben würde. Das gilt übrigens auch für das ›tut mir leid‹. Außerdem bin ich ziemlich sicher, auch das schon mal aus Ihrem Mund gehört zu haben.«
»Googeln Sie mich doch, wenn Sie wieder zu Hause sind.«
»Finde ich dann auch ein Foto?«
»Ja, wahrscheinlich.«
»Okay. Dann erzählen Sie mir doch jetzt mal, wie die Sea Wolf und Ned Rizzo in diese Geschichte mit Soga passen.«
»In den letzten paar Jahren hat Rizzo praktisch ausschließlich auf der Sea Wolf gearbeitet. Er ist immer mit derselben kleinen Besatzung auf Fahrt gegangen und dann nach zwei oder drei Wochen zurückgekommen – mit nur einem Bruchteil des Fangs, den sie eigentlich hätten an Bord haben müssen. Dann hat er überraschend die Firma verlassen und ist bei einem äußerst merkwürdigen
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