Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
doch einfach versuchen. All das ist lange her.«
»Wo hast du dich mit diesem Smolec getroffen?«
»In einem Park. Am Farragut Square.«
Natürlich – der kalte Wintertag, als Kate ihn an seiner roten Mütze auf der anderen Straßenseite erkannt hatte. Vor drei Jahren.
»Wieso hast du das getan?«
»Gute Frage. Die Wahrheit ist, dass ich es nicht weiß. Ich habe das Ganze nicht geplant, falls du das meinst. Aber die Informationen waren nun mal da, und ich hatte das Gefühl, ich sollte die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen.«
»Okay«, sagte Kate und schob für einen Moment beiseite, wie absurd seine Geschichte klang. »Smolec hat für dich also die ganze Zeit den Colonel im Auge behalten. Das leuchtet mir ja noch halbwegs ein. Aber eines verstehe ich immer noch nicht, Dexter: Du hast mir nie von all dem erzählt? Obwohl ich all die Jahre für das Außenministerium gearbeitet habe?«
Kate wurde bewusst, dass sich ihr mit dieser Frage eine neuerliche Gelegenheit für ein umfassendes Geständnis bot. Würde sie diesen einen Satz richtigstellen, könnte sie den riesigen Schutthaufen, den sie zwischen ihnen aufgetürmt hatte, ins Rutschen bringen. Doch im Augenblick war eindeutig Dexter derjenige mit – mehr – Dreck am Stecken.
»Das fing alles an, bevor ich dich kennengelernt habe«, sagte er. »Und was ich da tat, war ziemlich verrückt. Ich habe mich geschämt. Ich wollte nicht, dass du es weißt.«
Ein idiotisches Argument, aber immerhin schien es aufrichtig zu sein. »Und wie ging es weiter?«
»Es passierte vor ein paar Jahren. In einem völlig anderen Zusammenhang. Während der Arbeit. Ich bin bei der Überprüfung eines Sicherheitsprotokolls auf ein Hintertürchen gestoßen, durch das man online Geld stehlen konnte. Während des Überweisungsprozesses.«
»Und darauf bist du rein zufällig gekommen?«
»Nein. Nicht in dem Sinne von zufällig, als ich gerade ein bisschen bei eBay gestöbert habe. Es war mein Job, die Systeme auf mögliche Sicherheitslücken zu untersuchen und sie zu schließen. Außerdem wusste ich ja, wie der Colonel seine Geschäfte abwickelt. Ich wusste, dass er regelmäßig gewaltige Summen online überweist, manchmal sogar zwanzig oder dreißig Millionen auf einmal. Von seinem Computer zu Hause aus. Auf Nummernkonten, von denen er es später weiterüberwiesen hat. Geld, das aus Waffengeschäften stammte.«
»Also hast du beschlossen, ihn auszurauben?«
»Ja. Aber ich wollte nicht nur sein Bankkonto plündern. Das wäre ja lediglich ein gewöhnlicher Diebstahl gewesen.« Mittlerweile war das Zittern aus seiner Stimme verschwunden, und er sprach lauter, schneller, offenkundig erleichtert, ihr alles erklären zu können. Seiner Frau. Seiner besten Freundin. »Mir ging es darum, seinen wunden Punkt zu finden. Einen Moment abzupassen, in dem er viel Geld hat, das ihm nicht gehört, ihn mitten bei einem Deal zu erwischen. Wenn er eine gewaltige Summe hat, die er jemand anderem schuldet.«
»Jemandem, der alles andere als glücklich darüber wäre, wenn er sein Geld nicht bekäme.«
»Genau.«
»Also wolltest du dich nicht einfach nur an ihm rächen, indem du ihn bestiehlst?«
»Nein.« Dexter schüttelte den Kopf. »Ich wollte, dass er getötet wird.«
Kate war verblüfft über Dexters unverhohlene Rachsucht.
»Darum geht es bei dieser ganzen Sache, Kate. Um Gerechtigkeit. Ich habe das Geld nicht aus Gier gestohlen. Sondern, um einen der schlimmsten Menschen auf dieser Welt zu bestrafen.«
Kate dachte einen Moment über diese halbwegs vertretbare Erklärung nach. »So kann man es auch betrachten.«
»Wie kann man es denn sonst noch betrachten?«
»Man kann dich für einen Dieb halten.«
»Ich verpasse nur jemandem seine gerechte Strafe.«
»Ein Dieb, der noch dazu Selbstjustiz geübt hat.«
»Ich mache die Welt zu einem besseren Ort.«
»Mag sein. Aber das ist nicht die Art, wie wir vorgehen.«
»Wer ist wir?«
»Die Amerikaner. Es ist nicht die amerikanische Art, Gerechtigkeit zu üben.«
»Die amerikanische Art? Du sprichst von Festnahme, Anklageerhebung, Prozess, Verurteilung, Berufung und Haftstrafe?«
Kate nickte.
»Wie soll man das bei einem serbischen Bürger mit Wohnsitz in London bewerkstelligen?«
»Indem man ihn als internationalen Kriegsverbrecher behandelt.«
»Sprich, er würde in Den Haag vor Gericht gestellt werden. Das ist auch nicht besonders amerikanisch, oder?«
»Aber es entspricht dem amerikanischen Respekt vor der
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