Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
habe dir nie erzählt, wie er gestorben ist.«
»Du hast mir erzählt, er sei nicht mehr bei der Marine gewesen, sondern hätte als freier Berater gearbeitet.« Kate hatte alle möglichen Dinge über diese Typen gehört. »Er wurde gefangen genommen und getötet.«
»Genau. Von einem serbischen Colonel namens Petrovic. Schon mal von ihm gehört?«
Kate schüttelte den Kopf.
»Dieser Mann hat Menschen gequält, einfach weil er Spaß daran hatte. Am allerliebsten hat er Soldaten die Fingernägel mit der Zange herausgezogen. Oder ihnen mit einem Schlachtermesser die Ohren abgeschnitten. Das gab ihm einen besonderen Kick. Er hat Leute verstümmelt und sie ganz langsam und qualvoll getötet, mit viel Blutvergießen. Nicht weil er irgendwelche Informationen aus ihnen herauspressen wollte, sondern aus purer Lust an der Brutalität. Und weil er sich seinen Ruf als grausamer Barbar bewahren wollte.« Dexter hielt einen Moment inne. »Als sie meinen Bruder gefunden haben, fehlten ihm sämtliche Finger. Und die Zehen. Und die Genitalien. Und die Lippen. Seine Lippen, Kate. Petrovic hat Daniel die Lippen abgeschnitten.«
Ein Schauder überlief sie.
»Petrovic hat meinen Bruder zu Tode gequält, einfach zum Spaß, und dann hat er seine verstümmelte Leiche in die Gosse geworfen, wo sich streunende Katzen und ein Rudel verwilderter Hunde über ihn hergemacht haben.«
Die Abscheulichkeit dieser Tat überstieg Kates Vorstellungsvermögen. Trotzdem gelang es ihr nicht, all das mit dem Diebstahl von fünfundzwanzig Millionen Euro zusammenzubringen. Und ihr war nicht klar, wieso sie von diesem Vorfall nicht schon früher erfahren hatte, damals, als sie Dexter auf Herz und Nieren geprüft hatte.
»Das ist ja grauenhaft. Und ich will nicht, dass du mich für ein ungeduldiges und herzloses Miststück hältst, aber was zum Teufel hat das mit den gestohlenen fünfzig Millionen Euro zu tun?«
»Fünfundzwanzig.«
»Wie viele Millionen auch immer, verdammt. Herrgott noch mal, Dexter!«
Er holte bebend Luft. »Petrovic ist derjenige, von dem ich sie gestohlen habe.«
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»Okay«, sagte sie, umklammerte die Armlehnen ihres Stuhls und zwang sich, ihre Fassung wiederzuerlangen. »Das musst du mir erklären. Woher wusstest du das?«
»Woher wusste ich was?« Dexters Stimme zitterte. Kate sah, dass er den Tränen nahe war.
»Alles. Von deinem Bruder? Von Petrovic?«
Wieder holte Dexter tief Luft. »Als Erstes waren da die Fotos von Daniels Leiche. Im offiziellen Bericht des Verteidigungsministeriums.«
»Wann hast du diesen Bericht in die Finger bekommen?«
»Ende der Neunziger. Jemand vom Außenministerium nahm Kontakt zu meinen Eltern auf und sagte, zahlreiche Unterlagen aus dem Bosnienkrieg seien endlich freigegeben worden, darunter auch der Bericht über Daniels Tod.«
»Und du hast diesen Bericht gelesen?«
Er nickte. »Eine Fotokopie. Am Ende des Berichts stand, Petrovic sei am Leben und kerngesund und verdiene sich als Waffenschieber eine goldene Nase. Er verkaufe Waffen an die schlimmsten Leute des Planeten, an mexikanische Drogenbarone, an sudanesische Staatschefs, die Völkermord begingen, an die Taliban.«
»Und all das stand in dem Bericht über Daniels Tod?«
»Nein. Diese Informationen habe ich mir anderweitig beschafft, aber über den Typen, der sich an uns gewandt hatte. Ich habe mich ein paar Jahre danach mit ihm getroffen. Außer dem, was in diesem Bericht stand, wusste er nicht viel, aber er hat mich mit einem kroatischen Flüchtling zusammengebracht, Smolec, der eine Menge über das Militär dort unten wusste. Smolec hat mir vom Colonel erzählt. Sie kannten sich vom Militär, und er wusste genau, was für ein Typ der Colonel ist.«
Das war die abstruseste Geschichte, die Kate je gehört hatte.
»Also habe ich Smolec eine Art Vorschuss bezahlt«, fuhr Dexter fort, »damit er mir hilft, über die Aktivitäten des Colonel auf dem Laufenden zu bleiben – wohin er geht, woher er kommt, seine Immobilienkäufe, seine Waffendeals.«
»Wessen Idee war das? Dass Smolec den Colonel im Auge behält, meine ich. Seine? Oder deine?«
Kate sah den Anflug eines Lächelns auf Dexters Gesicht, einen winzigen Hauch der Erleichterung. Sie wusste genau, was er dachte: Wenn sie derartige Fragen stellte, versuchte sie das Ganze zu verstehen. Und ihm zu verzeihen. Und er hatte recht damit.
»Das weiß ich nicht mehr«, sagte er. »Kann sein, dass er mir erzählt hat, es sei ein Kinderspiel, und ich habe gesagt, er soll es
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