Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
glaubte sie, der wahre Grund sei Kate; dass ihre Affäre mit Bill seine Ehe zerstört hatte. Wir alle glauben, alles drehe sich nur um uns.
----
Der Winter ging seinem Ende entgegen. Sie verbrachten eine Woche in Barcelona, wo es wärmer war als im Norden des Kontinents und sie mit dünnen Jacken herumlaufen konnten, es folgten Trips nach Hamburg und Wien. Fremde Städte, fremde Sprachen.
Kate verbrachte ein Wochenende im winterlichen Paris – eine angenehme, zweistündige Zugfahrt mit dem TGV am Freitagmorgen, dann ein erfrischender Spaziergang vom Gare du Nord in eine Markthalle, wo sie zu Mittag aß. Sie bummelte durch die Geschäfte auf den Grands Boulevards. Besuchte den Louvre.
Am späten Samstagnachmittag stand sie auf der Pont Neuf über der silbern glitzernden Seine im winterlichen Sonnenschein. Schließlich schlang sie sich ihren neuen Schal fester um den Hals und stürzte sich ins Getümmel der Cafés und Brasserien am linken Seineufer – voller Gäste, die sich einen frühen Drink genehmigten, während die Sonne allmählich unterging und den glitzernden Lichtern der abendlichen Stadt wich. Als sie an einer Ampel an der Ecke der Place St. Michel stand, inmitten von Hunderten von Menschen, bemerkte sie, dass der Zweig an dem Baum über ihr zu knospen begann.
----
Eigentlich hatten sie geplant, fünf Wochen lang die Sommerferien in Südfrankreich zu genießen. Doch in diesem Monat am Meer hatten sie ihre Pläne noch einmal genau überdacht. Wollten sie wirklich in Luxemburg leben? Mussten sie es überhaupt?
Sie hatten dort hinziehen müssen, damit Dexter seine geschützten Konten eröffnen und seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Er hatte eine société anonyme in einer Branche gründen müssen, die bei den Behörden keinen Verdacht erregte. Investments. In Luxemburg, der Hochburg der Finanzgeschäfte. Sie mussten ihre Einkommensteuer in einem Land abführen, das nicht in den Zuständigkeitsbereich des FBI fiel.
Aber musste es unbedingt Luxemburg sein? Nein. Die Schweiz, die Cayman-Inseln, Gibraltar oder irgendein anderer Kleinstaat, in dem die Privatsphäre seiner Bewohner an oberster Stelle stand, wären für ihre Zwecke ebenso geeignet. Dexter hatte sie im Jahr vor ihrem Umzug allesamt besucht, doch am Ende war die Wahl auf Luxemburg gefallen, weil es das attraktivste aller Steuerparadiese gewesen war. Es war eine richtige Stadt, ein Staat, und keine verlassene Insel in der Irischen See, ein Country Club in der Karibik oder eine felsige Einöde in den Pyrenäen. Es gab dort sogar eine florierende Expat-Gemeinde, gute Schulen, und das gesamte kulturelle Angebot Westeuropas lag direkt vor der Haustür.
Und kein Mensch in den Staaten wusste, wo Luxemburg überhaupt lag. Wenn Amerikaner hörten, dass man seinen Wohnsitz nach Zürich oder auf die Caymans verlegte, gingen sie automatisch davon aus, dass man Geld unterschlug oder sich auf der Flucht vor den Behören befand. Doch kein Mensch hatte eine Vorstellung davon, was jemanden nach Luxemburg verschlagen könnte.
Alles in allem musste Kate zugeben, dass Luxemburg eine gute Wahl gewesen war. Für die ganze Familie. Doch das Ganze hatte nicht gut ausgehen können. Nicht nach diesem Anfang. Und nicht nach allem, was mit den Macleans vorgefallen war.
Nun, da die Firma offiziell existierte, Dexter mit seinen Investments einen legitimen – und erstaunlich hohen – Gewinn erwirtschaftete, sie eine Aufenthaltsgenehmigung und EU-Führerscheine hatten, ihre Einkommensteuer an den luxemburgischen Staat abführten … sollten sie, nun, da all das reibungslos funktionierte, nicht in Luxemburg bleiben?
Nein.
----
Zuerst fanden die Jungs am Strand von St. Tropez neue Freunde. Und am nächsten Tag stellten sich die Erwachsenen einander vor. Tags darauf liefen sie sich am Strand in die Arme, wenig später aßen sie zusammen zu Mittag und plauderten bei kühlem Rosé – das unbeschwerte Geplauder und Geplänkel von in Europa lebenden Amerikanern, die Ferien am Mittelmeer machten. Kate lauschte den Anekdoten über das Leben in Paris, die internationale Schule in St.-Germain und den Immobilienmarkt, auf dem es neuerdings sogar bezahlbare Apartments zu geben schien.
Eines Tages nahmen sie die Frühmaschine von Marseille, die Jungs mit frisch gewaschenen Haaren und ordentlich in die Hosen gesteckten Hemden. Mit dem Taxi ging es vom Flughafen zur Schule, dann ein kurzes Gespräch mit den Jungs und ein längeres mit den Erwachsenen. Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher