Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
im Leben haben.«
»Aber was wäre, wenn das Geld keine Rolle spielen würde? Wo würdest du dann leben wollen? Hier?«
Statt einer Antwort zuckte sie lediglich mit den Achseln. Das waren doch sinnlose Tagträume.
Er zählte ihr seine Top Five auf. Sie ließ sich von seinem Enthusiasmus anstecken und schlug vor, die Costa Brava gegen New York auszutauschen. »Irgendwann vielleicht«, meinte er. »Aber ich will nicht darüber nachdenken, in den Staaten zu leben. Nicht im Moment. Sondern nur darüber, wo wir uns in Europa niederlassen könnten.« Er lächelte. »Wenn ich erst einmal reich geworden bin.«
»Ach ja? Wann genau hattest du denn vor, reich zu werden?«
»Oh, keine Ahnung.« Er versuchte zu kokettieren. »Ich habe da so einen Plan.« Er war nicht weiter darauf eingegangen. Und sie war überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass die Antwort ernst gemeint gewesen sein könnte. Hatte er tatsächlich einen Plan?
»Also Skifahren, ja?«, sagte er nun. »Und wie sollen wir dort hinkommen? Wir werden ganz bestimmt nicht zwölf Stunden mit dem Auto fahren.«
»Das wäre ja auch nur eine Möglichkeit, dort hinzukommen.«
Dexter hob den Kopf, als blicke er über den Rand einer Lesebrille – die er noch nie besessen hatte. Diese Geste hatte er aus irgendeinem Film abgekupfert.
»Ich stimme dir allerdings zu, dass es nicht die allerbeste Idee ist«, fuhr sie fort. »Wir könnten fliegen.«
»Und wohin?«
»Nach Genf«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen.
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Auf den Champagner folgte eine Flasche Weißburgunder zum Kalbfleischeintopf, dann holte Kate den Armagnac aus dem Schrank, damit Dexter sich einen – oder auch zwei – genehmigen konnte, während sie die Jungs zu Bett brachte. Danach gesellte sie sich zu ihm. Sie plauderten übers Skifahren und über die Weihnachtsferien, während sie weiter ihren Brandy tranken. Ein bisschen Musik, ein knisterndes Feuer im Kamin, ein kleines Vorspiel auf dem Sofa, das mit Sex auf dem Boden endete. Sie blieben lange auf. Und tranken viel.
Am Morgen schlief Dexter aus, wie immer, wenn er sich am Vorabend einen Armagnac genehmigt hatte. Als Kate die Kinder in die Schule gebracht hatte und nach Hause zurückkam, war er immer noch da. Eine echte Seltenheit. Er suchte gerade seine Sachen zusammen und wollte sich auf den Weg machen. Nach einem zärtlichen Abschiedskuss schloss sie die Haustür hinter ihm und blieb neben der Konsole in der Diele stehen. Neben der Fußleiste lagen ein paar Krümel getrockneter Matsch – von dem Ort, an dem er gewesen war, als er behauptet hatte, er wäre nach Brüssel gefahren.
Im Mantel und mit den Schlüsseln in der Hand wartete sie, bis das Summen des Aufzugs verklungen war, dann folgte sie ihm.
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Es war beschämend, ja geradezu abstoßend, zu diesem Mittel greifen zu müssen, um herauszufinden, wo sich das Büro ihres eigenen Mannes befand. Zu Fuß folgte sie ihm quer durch die Stadt, ohne besonders vorsichtig zu sein. Und tatsächlich drehte sich Dexter während des zehnminütigen Marschs zum Boulevard Royal nicht ein einziges Mal um. Er machte keinerlei Anstalten, jemandem zu entschlüpfen, zu folgen oder sonst etwas.
Schließlich blieb er vor einem unscheinbaren achtstöckigen Betonbau aus den Sechzigern stehen, altmodisch, funktional und hässlich. In der Lobby befanden sich eine Reinigung, ein Sandwichshop, ein Tabak- und Zeitschriftenhändler, eine Apotheke und ein italienisches Restaurant.
Dexter drückte den Aufzugknopf, wartete und stieg ein, gefolgt von einem Mann in seinem Alter. Die Anzeige über der Tür verriet, dass die beiden in den dritten und in den fünften Stock fuhren.
Kate ging um das bunkerartige Gebäude herum, dessen Eingänge vom Portier allesamt zu überblicken waren. Sie betrachtete die Fenster – keine Fensterbretter, außerdem gingen alle vier Fassadenseiten auf belebte Einkaufsstraßen hinaus. Das Haus lag nur einen Block entfernt von der Stadthalle und dem Busbahnhof. Überall waren Polizisten, an jeder Ecke hingen Überwachungskameras, eine Bank reihte sich an die nächste. Im Minutentakt kamen Banker in ihren Wagen angerauscht, um in die Tiefgaragen zu fahren, Audis und BMWs in gedecktem Grau für die Familienväter, auffällige gelbe Lamborghinis und rote Ferraris für die Junggesellen.
Ein Banken- und Regierungsviertel. Eine sichere Gegend. Viel sicherer als die Gegend, in der sich Bills Büro befand. Völlig ausgeschlossen, hier durch ein Fenster einzusteigen.
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