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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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Kopf des Schriftstellers auf einem Sockel, von dem aus er gebieterisch über die Stadt blickt, die er einst sezierte. Davor steht ein einzelner Trauernder, ein langhaariger Mann in einem zerknitterten schwarzen Anzug, der das Denkmal mit der Gebanntheit eines geistig Verwirrten anstarrt. Als der Mann weitergeht und schließlich außer Hörweite ist, sagt Alice: »Die Sache läuft jedenfalls. Die Rückführung, meine ich. Aber wir müssen noch warten. Das verstehst du doch, oder? Bis zum nächsten Vollmond.« Es kommt ihr so vor, als würde sie mit einer Patientin sprechen, ihr die Prognose erklären, alles wiederholen, um sicherzugehen, dass es verstanden wurde. »Verstehst du? Wir müssen bis zum nächsten Vollmond warten. Bis dahin machst du am besten einfach alles weiter so wie gehabt – halt dich bedeckt und komm niemandem in die Quere. Hast du Geld?«
    Yvette zündet sich eine Zigarette an, beäugt Honoré de Balzac, mort à Paris le 18 août 1850, durch eine Wolke Rauch. Ihre Finger – zart, schlank, geschickt im Umgang mit einem Messer – sind gelb verfärbt. »Ich muss auf dem Schwarzmarkt einkaufen. Ich trau meinen Lebensmittelkarten nicht.«
    »Ich gebe dir etwas Bargeld. Du musst einfach nur abwarten, bis ich dich wieder kontaktiere.«
    Irgendwo auf dem Friedhof läutet eine Glocke. Menschen gehen Richtung Krematorium oben am Hang. »Eine Trauerfeier«, sagt Yvette. Sie wirft ihre Zigarette weg, »Lass uns gehen. Eine Trauerfeier hat mir jetzt gerade noch gefehlt.«
    IX
    Sie holt den Koffer hervor und legt ihn aufs Bett. Clément steht im Türrahmen, sieht zu. Sie öffnet den Deckel und tritt zurück, damit er hineinsehen kann.
    »Da.«
    Das matte Schimmern von schwarzem Metall, von Anzeigen unter Glas und von Bakelitknöpfen. Er beäugt das Ding, als wäre es ein neues Forschungsgerät. »Weißt du, wie das funktioniert?«
    Sie zuckt die Achseln. »Ich hoffe. Ich hab nur den Grundkurs gemacht, nicht die ganze Funkausbildung. Morsen kann ich eher schlecht als recht.« Sie schließt den Deckel und sieht zu ihm hoch. »Also, was soll ich denen sagen?«
    »Ich hab mit Fred gesprochen. Ihm das mit dem Brief von Chadwick erzählt.«
    »Du hast was ? Was hast du ihm sonst noch erzählt?«
    »Du kannst Fred vertrauen. Er kann ein Geheimnis für sich behalten. Wir alle leben in dieser Zeit mit unseren Geheimnissen, Marian.«
    »Aber ich will nicht, dass er mit meinen lebt. Ist dir nicht klar, wie gefährlich das ist? Verdammt, was hast du ihm sonst noch erzählt?«
    »Äffchen, reg dich doch nicht so auf.«
    »Nenn mich nicht Äffchen! Ich bin kein Kind mehr, Clément.«
    »Keine Sorge, ich hab dich nicht erwähnt. Ich hab mich ganz vage ausgedrückt. Ich sei in den Besitz eines Briefes gelangt, in dem Tenor.«
    »Und was hat er gesagt?«
    »Es hat ihn ganz schön aufgewühlt, dass Bohr zu den Alliierten übergelaufen ist. Er hat gesagt, er würde auch gehen, wenn Irène und die Kinder nicht wären. Dann könnte er wenigstens rausfinden, was los ist, hat er gesagt.«
    »Ist das alles?«
    »Er meint, ich sollte an seiner Stelle gehen. Als sein Stellvertreter sozusagen.«
    Sie sieht ihm den inneren Widerstreit am Gesicht an. »Aber was meinst du , Clément? Wie entscheidest du dich? Denn du musst eine Entscheidung treffen. Das ist das einzig Positive, das dieser Krieg gebracht hat: Wir müssen uns entscheiden. Die Franzosen mehr als alle anderen.« Sie ist wütend – auf ihn, auf die Stadt, auf das ganze verdammte Land, das sich so apathisch mit seinem Schicksal abfindet, eine Resignation, die sich peu à peu in Akzeptanz verwandelt und, wenn man auch nur einen Moment nicht aufpasst, in Kollaboration. Als er nicht antwortet, wendet sie sich ab. In einer Ecke des Zimmers steht ein Sekretär, ein kunstvolles Stück mit Intarsien und zart geschwungenen Beinen. Vielleicht hat Madeleine daran immer ihre Briefe geschrieben. In allerlei kleinen Fächern liegen Papier und Bleistifte und ein Notizbuch mit einigen Adressen darin und ein Foto von einer dunklen und attraktiven jungen Frau – Augustine –, die stolz ein Baby in die Kamera hält. Sie zieht einen Stuhl heran, legt ein Blatt Papier auf den Sekretär und setzt sich. Dann nimmt sie einen Stift und schreibt:
    MARCELLE KONTAKTIERT CINÉASTE ZERSCHLAGEN ALLE ANDEREN VERHAFTET MARCELLE BRAUCHT RÜCKFÜHRUNG AUCH MECHANIKER KONTAKTIERT ER KÖNNTE BEREIT SEIN [STOP]
    Clément steht da und schaut zu, eine Zigarette in der Hand. Es wäre besser, er wäre nicht dabei.

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