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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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Sie ist unvorsichtig geworden, und das weiß sie. Dieser Vorgang – das ganze Brimborium aus Schreiben und Verschlüsseln, die ausgetüftelten Transpositionsschlüssel – ist sehr intim, wie sich waschen oder pinkeln oder sonstige körperliche Dinge, die man vor neugierigen Augen verbirgt. Und jetzt sitzt sie hier, ohne Tarnung, ohne jeglichen Schutz, seinem Blick ausgeliefert.
    AUCH CLAIRE KONTAKTIERT WEGEN RÜCKFÜHRUNG BITTE FOLGENDE NACHRICHT AUF BBC SENDEN [STOP] PAUL GEHT IN ZEHN MINUTEN [STOP] WIEDERHOLE PAUL GEHT IN ZEHN MINUTEN [STOP] ERWARTE ANTWORT IN EINER STUNDE
    »Ist das nicht ganz schön gefährlich?«, sagt er. »Das Senden, meine ich. Die suchen bestimmt die Frequenzen ab …«
    »Natürlich machen sie das.«
    »Richtantennen und ein bisschen Übung im Triangulieren, um den Sender zu orten …«
    »Du musst die Meldung senden und das Gerät so schnell wie möglich ausschalten. Es heißt, für die erste Übertragung hast du so ungefähr dreißig Minuten. Für die danach weniger. Die Deutschen haben voitures gonio auf den Straßen …«
    » Gonio? «
    » Radiogoniométrie . Funkpeilung. So, jetzt sei still, weil ich das hier verschlüsseln muss.« Sie schreibt ihr Gedicht auf ein zweites Blatt Papier:
    Ich frage mich ob du
    Mich jemals
    Wirst lieben
    Für immer
    Oder ob
    Auf ewig
    Wir bleiben entzweit
    Auch wenn uns vielleicht
    Die Liebe
    Wird niemals
    Vereinen
    Mein Herz ist
    Allezeit
    Nur für dich bereit
    »Sag mir, was du da machst.«
    »Ich sorge dafür, dass du nach England kommst.«
    Sie ignoriert sein Lachen und arbeitet weiter, wählt fünf Wörter aus dem Gedicht aus – jemals, oder, wir, entzweit, Herz – und nummeriert die Buchstaben, um den Schlüssel zu erhalten. Dann schreibt sie ihre Nachricht unter den Schlüssel und jagt die Buchstaben durch die doppelte Transposition, bis der eigentliche Text wie purer Nonsens anmutet, eine willkürliche Aneinanderreihung von Buchstaben ohne erkennbaren Sinn. Als das erledigt ist, setzt sie ihre persönliche Gruppe vor den Anfang der Nachricht, gefolgt von einem Kenncode, der den Text des Gedichts identifiziert, und dann ihre beiden Sicherheitsmarkierungen. Schließlich schreibt sie die ganze Nachricht in Gruppen von fünf Buchstaben, liest dann alles gründlich durch, sucht nach einem Versehen, diesem einen Fehler, der die gesamte Transposition um einen Buchstaben verschieben und vermeintlichen Nonsens in totales Kauderwelsch verwandeln würde, in eine nicht dechiffrierbare Nachricht. »Nicht dechiffrierbare Nachrichten sind der Fluch unseres Lebens«, hatte Marks sie gewarnt. »Fehler beim Morsen, kein Problem, Fehler bei der Verschlüsselung, totales Desaster.«
    Clément schaut ihr über die Schulter. Sie versucht, ihn auszublenden. Er darf eigentlich gar nicht zuschauen, aber er tut es nun mal. Er darf eigentlich gar nicht mit ihr im Raum sein, aber er ist es. Sie hat Schuldgefühle, weil sie gegen die Regeln verstößt.
    Er fragt spöttisch: »Und was hast du entschieden, was ich machen werde?«
    Sie sammelt ihre Zettel ein, hebt den Koffer vom Bett und drängt sich an ihm vorbei in die Diele. »Ich habe entschieden, was du machen solltest . Der Rest liegt bei dir.«
    Draußen vor der Wohnungstür liegen der Flur und das Treppenhaus im Dunkeln, still wie in einer Kirche. Unters Dach gelangt man durch eine Tür auf dem Flur, die sie so entdeckt hat, wie sie alles andere herausgefunden hat, als sie mögliche Fluchtwege und Alternativausgänge erkundete. Sie hat sogar entdeckt, wo der Schlüssel zu der Tür aufbewahrt wird, in der Küche, unter dem Adlerauge von Marie. Eine einzelne Glühbirne wirft ein fahles Licht, als sie den Koffer die Treppe hochschleppt und so tut, als wäre es ihr egal, dass Clément ihr folgt.
    Am Ende der Treppe ist ein schmaler Raum, der vage nach Seife riecht. Es gibt ein Zementbecken und ein Waschbrett und einen Holzkorb. Sie stellt den Koffer ab, öffnet die Tür zum Dach und tritt hinaus. Das Dach ist ein Ort der Schatten mit Schieferschrägen und -pyramiden und einem staubigen Teich aus Glas, durch den man hinunter ins Treppenhaus blicken kann, wo sie gerade noch waren. Über den Nachbargebäuden erstrahlt die Kuppel des Panthéon im letzten Licht des Abends. Clément erscheint in der Tür und beobachtet sie.
    »Kommt hier sonst schon mal jemand hoch?«, fragt sie.
    »Das ist unser Dachzugang. Privat. Wo Marie die Wäsche aufhängt.«
    Sie legt die Antenne aus so gut es geht, während er dasteht, raucht und ihr

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