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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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zusieht. Denkt er über ihren Vorschlag nach? Sie hat nicht vergessen, wie das ging, aus ihm schlau zu werden, nein, jetzt wird ihr klar, dass sie im Grunde nie aus ihm schlau geworden ist, dass sie nie sicher war, ob er etwas ernst meinte oder nicht. Seine wissenschaftlichen Ideen schienen ihr abstrus und seine Gedanken über das Leben konkret und zuverlässig. Aber jetzt kommt ihr alles genau umgekehrt vor. Die Wissenschaft duldet keinen Zweifel, und das Leben ist ein einziges Rätsel, voller Widersprüche und Unsicherheit. Nur dieses Verfahren, die komplizierten Abläufe von Verschlüsseln und Morsen, die man ihr in Meoble und Beaulieu eingetrichtert hat, scheint noch einen Zweck zu haben.
    Sie findet eine Steckdose in der Wand hinter einem Schrubber mit Eimer, stöpselt das Funkgerät ein und schaltet es an. Ein schwaches, nervöses elektrisches Summen ertönt, und die Spannungsanzeige erwacht zum Leben. Sie hebt den Kopfhörer und hält ihn ans Ohr, lauscht auf den Klang der Stille, der durch die Ätherwellen rauscht wie ein Strom.
    »Das ist kein Witz mehr, Marian«, sagt er.
    Sie dreht sich zu ihm um. »Es war noch nie ein Witz, Clément. Nicht für mich. Ich riskiere hierfür mein Leben und deins noch dazu. Also, wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich muss mich konzentrieren. Ich bin in einer halben Stunde unten.«
    Sobald er gegangen ist, dreht sie den Eimer um, setzt sich darauf und stellt das Funkgerät auf einen kleinen Klapptisch, den sie hinter Sackleinen versteckt entdeckt hat. Sie sieht auf die Uhr, merkt sich die Zeit und setzt den Kopfhörer auf. Dann legt sie den Kristalldetektor ein, einen der beiden, die sie in sich getragen hat, stellt Fünf-Megahertz-Bandbreite ein und versucht, die Hand so zu halten, wie sie es in der Ausbildung mit Müh und Not gelernt hat, die Finger sacht auf dem Knopf der Morsetaste. Unsicher beginnt sie, ihr Rufsignal zu senden, die zögerlichen Punkte und Striche, die in die Wüste des Abends entschwinden wie leiser Vogelgesang.
    Sie hält inne und lauscht.
    In Brest und Augsburg und Nürnberg werden Empfangsstationen das kleine Flattern auf den Radiowellen wahrgenommen haben. Jetzt klingeln Telefone, eine Station ruft die andere an. Richtantennen drehen sich um den Kompass und spüren auf, aus welcher Richtung dieser zarte, neue Eindringling kommt. Linien werden auf einer Europakarte gezogen, um sich in einem Dreieck über Paris zu schneiden … und unterdessen sitzt in einem Landhaus in Südengland, in jenem Herrenhaus bei Grendon Underwood, eine FANY -Funkerin, die vielleicht oder vielleicht auch nicht lauscht, vielleicht oder vielleicht auch nicht aufschreit: »Alice meldet sich!« und die Stationsleiterin ruft und dann eine Hand auf die Morsetaste legt, um eine Antwort zu tippen.
    Sie schickt ihr Rufsignal erneut. Sie kann sich vorstellen, wie die Antennen sich drehen, lauschen, wie eine Raubfledermaus einen neuen Ruf in der Nachtluft ausmacht, den Gesang eines Vogels, der fürchtet, erbeutet zu werden, aber dennoch gehört werden muss. Sie zählt die Sekunden, betet zu gleich welcher Gottheit, die über die Funkwellen herrscht. Und dann flackert Grendons Rufsignal schwach in ihren Ohren und löst ein kleines staunendes Prickeln aus, als hätte sie ein Gebet gemurmelt und als hätte Gott selbst es erhört.
    Sie fängt an, ihre Nachricht zu morsen, tippt langsam, klopft auf Holz, fleht innerlich darum, alles richtig zu machen mit den holprigen Buchstaben, die sie sich aus Übungsstunden in Erinnerung ruft, in denen sie nie ganz bei der Sache war. Sie rutscht mit dem Hintern auf dem Eimer hin und her und tippt weiter, schickt ihre Worte mühsam hinaus in den rauschenden Äther. So etwas wie der Äther existiert gar nicht, hat Ned ihr einmal erklärt: Er sei ein wissenschaftliches Fantasieprodukt aus dem neunzehnten Jahrhundert. Und doch hört sie ihn im Kopfhörer wie das Tosen eines Ozeans, der an ein fernes Ufer brandet, ein unaufhörlicher Hintergrund zu dem dünnen Flüstern ihrer Botschaft. Sie beendet die Übertragung mit Gruß und Kuss . Daran ist Marks schuld. Meldet euch bloß nicht mit »Ende der Nachricht« ab, hat er sie gewarnt. Benutzt nichts, was irgendwer erraten könnte. Sagt »Macht’s gut« oder »War nett, mit euch zu reden«, sagt egal was außer »Ende der Nachricht« oder »Ende und Aus« oder was einem sonst so auf Funkschulen beigebracht wird. Wenn es nämlich für euch eine Floskel ist, dann ist es auch für die Gestapo eine Floskel.

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