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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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Und wenn sie die richtig raten, erkennen sie nach und nach euer Strickmuster. Weil eure ganze verschlüsselte Scheißnachricht bloß ein superkompliziertes Anagramm des Originals ist. Und das ist das Problem dabei.
    Gruß und Kuss .
    Sie nimmt den Kopfhörer ab und dreht den Netzschalter auf Aus . Die Spannungsanzeige fällt wieder auf null. Noch ein Blick auf die Uhr. Sieben Minuten fünfunddreißig Sekunden. Das Signal der Beute ist nicht mehr auf Sendung, und die Antennen spitzen nicht mehr die Ohren. Falls die Peilwagen aus ihren Höhlen gekommen sind, ist nichts mehr da, wonach sie suchen können.
    Sie geht nach unten, stellt sich vor, was jetzt in England los ist. Wie ihre Nachricht hastig in die Codierabteilung gebracht wird, eine der Mitarbeiterinnen dort ihr Gedicht aus der Akte holt und anfängt, den Code zu entschlüsseln, indem sie umkehrt, was sie gemacht hat. Wird sich aus ihrem Buchstabensalat ein logischer Sinn ergeben?
    Clément blickt fragend auf, als sie hereinkommt. Sie zuckt die Achseln. »Ich muss abwarten. Ich hab ihnen eine Stunde Zeit gegeben.«
    Sie essen das kümmerliche Mahl, das Marie für sie zubereitet hat. Sie unterhalten sich, über nichts, über Bagatellen, über die Vergangenheit, über seinen Vater und das, was er in Algier macht, über seine Schwester und seine Mutter. Und dann über Augustine, die einsam in dem Haus in Annecy lebt, zusammen mit ihrer Schwiegermutter und ihrer Schwägerin, in dem Wissen, dass sie Jüdin ist und dadurch irgendwie mit einem Makel behaftet. Wie eines von diesen Isotopen, über die er forscht. Radioaktiv.
    »Ich hab mit ihnen telefoniert«, sagt er. »Das Telefonieren ist heutzutage nicht mehr so einfach. Man kann ja nicht mehr alles offen sagen, aber wenn ich es richtig verstanden habe, wollen sie sich in die Schweiz absetzen. Es müsste möglich sein, ein Visum zu bekommen. Wir haben noch Freunde dort …«
    »Dann wäre sie ja in Sicherheit.«
    »Das klingt wie ein Vorwurf.«
    »Na ja, was ist mit den Tausenden, die sich nicht in Sicherheit bringen können, die nicht über die Schweizer Grenze können und niemanden haben, der sich um sie kümmert? Was wird aus denen?«
    »Ich weiß nicht, was aus ihnen wird, Marian.« Sein Ton klingt matt, als hätte er diese Diskussion wieder und wieder geführt. »Ich kann für sie nicht die Verantwortung übernehmen, genauso wenig, wie du das kannst. Sie müssen sich irgendwie durchschlagen.«
    »Aber du kannst was tun, nicht wahr? Ich gebe dir die Gelegenheit. Ich tue das, weil ich an das glaube, was ich mache. Ich glaube seit Jahren nicht mehr an Gott, aber weißt du was? Ich denke, inzwischen glaube ich an den Satan. Und wer den bekämpfen will, schafft das nur, wenn er genauso unbarmherzig ist wie er.«
    Im Codierraum in Grendon werden ihre Worte inzwischen aus dem sinnlosen Nebel auftauchen, wie ein fotografisches Bild in der Entwicklerschale. Die Mitarbeiterin wird die dechiffrierte Nachricht aufschreiben und damit in den Kommunikationsraum hetzen. Fernschreiben werden zwischen Grendon und London hin und her rattern, Durchschläge werden im Laufschritt in Büros irgendwo auf der Baker Street gebracht. Buckmaster und Atkins werden sich treffen, um zu erörtern, was sie antworten werden.
    Und Fawley? Der zurückhaltende Fawley wird informiert werden. Mechaniker könnte bereit sein. Wird er über die Bedeutung des vorsichtigen Konjunktivs nachdenken?
    Sie steht von ihrem Stuhl auf. »Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird«, sagt sie zu ihm. »Warte nicht auf mich.«
    Sie hockt in der Dachkammer, wartet und lauscht, der Empfänger ist an-, aber der Sender ausgeschaltet. Das Rauschen des Äthers im Kopfhörer, durchbrochen von Gemurmel und Gestotter. Die Kälte kriecht ihr in die Knochen, und ihr Hintern wird allmählich taub vom Sitzen auf dem unnachgiebigen Eimer. Sie haucht sich auf die Finger und horcht auf die leere Sphärenmusik. Eine erlesene Form der Langeweile, Untätigkeit, unterfüttert mit Spannung, wie die Sehne eines Bogens, dessen Pfeil nicht abgeschossen wird.
    Und dann kommt das leise, intime Flüstern wie die Stimme eines Liebhabers in ihr Ohr. Ihre blutleeren Finger kritzeln rasch das Gezwitscher hin, die Punkte und Striche, ein dünnes Rinnsal, das kundtut, dass irgendwo irgendwer an sie denkt.
    Die Nachricht wird wiederholt. Sie schaltet den Sender ein und wartet, bis die Röhren sich erwärmt haben. Eine kurze Bestätigung, ein paarmal auf der Morsetaste tippen, dann ist die Sache

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