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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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erwischt. Das wurde ihnen in der Ausbildung erklärt. Die Kugel ist schneller als der Schall, und deshalb erreicht sie dich eher als das Geräusch ihres Fluges durch die Luft. Genau wie bei einer Verhaftung – sie wird passieren, wenn du nicht damit rechnest, wenn du alle Eventualitäten bedacht hast und denkst, du bist sicher. Das Klopfen an der Tür tief in der Nacht. Die Hand auf der Schulter. Der jähe Stoß einer Pistolenmündung im Kreuz. Rechne immer damit, dann erlebst du keine Überraschungen.
    Als sie das dritte Mal zu Balzac hinüberschaut, steht eine kleine Gestalt vor dem Denkmal, zart, in einem hellbraunen Regenmantel, in der Hand einen Schirm zum Schutz gegen den Nieselregen, eine Frau mit dünnen Beinen und gebeugtem Rücken, als wäre sie schon alt und tattrig.
    Ist das der Köder, der an einem Haken zappelt?
    Vorsichtig geht sie den Hang hinunter und stellt sich neben sie. Yvette schaut nach oben zu dem Schriftstellerkopf auf dem Sockel, als wäre er eine Art Totem. Ihr Gesicht ist regennass.
    »Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.«
    »Wieso?«
    »Bist du allein?«
    Yvette wirft ihr einen Seitenblick zu. »Ja klar.«
    »Irgendwer ist mir gestern vom Gare d’Austerlitz gefolgt. Jemand wusste, dass ich dort ankommen würde.«
    Schweigen. Balzac blickt ernst hinaus in den Nachmittag. Ihn hatte die Stadt nie überrascht; vielleicht würde ihn nicht mal dieses kleine Treffen überraschen. Alice fügt leise hinzu: »Hast du sie mitgebracht?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.« Erschrockene Augen; große flehende Augen, als sie Alice am Arm packt. »Du bringst mich doch hier raus, oder? Was ist los, Marian? Was ist schiefgelaufen?«
    »Du hast mich verraten, nicht?«
    Der Wind frischt auf, brennt wie Salz in einer Wunde. Yvettes Schirm flattert und droht sich nach außen zu stülpen. Sie schließt ihn mit Mühe. »Wie kommst du darauf?«
    »Hab ich doch gesagt, sie haben am Bahnhof auf mich gewartet. Ich konnte sie abschütteln, aber sie wissen, dass ich in der Stadt bin. Niemand außer dir wusste, wann ich wieder nach Paris kommen würde und von woher. Niemand außer dir.«
    Yvette schlottert. Sie ist schwächlich und unterernährt, und vielleicht ist ihr kalt. Auch damals in der Meoble Lodge war ihr immerzu kalt. Alice umfasst die Pistole in ihrer Tasche. Dabei berührt sie mit den Knöcheln das andere, das sie in der Tasche hat, die kleine, harte Giftpille. »Ich vertraue dir nicht, Yvette. Nicht mehr.«
    »Aber du kannst mir vertrauen. Um Himmels willen, ich bin deine Freundin, Marian. Ich bin Yvette. Du kennst mich.«
    Alice blickt sich in der Stadt der Toten um. Lebende Geister schleichen die Wege entlang, blicken hoffnungslos auf die Denkmäler. Was ihr seid, waren wir, was wir sind, werdet ihr sein. Sie spürt ihr eigenes Leben an einem seidenen Faden hängen. »Ich gebe dir eine letzte Chance«, sagt sie. »Wenn du jetzt mitkommst, ohne noch einmal zu deiner Wohnung zu gehen, bringe ich dich nach England. Du wirst in Sicherheit sein. Du wirst Violette wiedersehen. Aber du musst jetzt mitkommen. Auf der Stelle.«
    »Wie soll denn das gehen? Ich kann doch nicht von jetzt auf gleich einfach so mitkommen.«
    »Warum denn nicht? Was hält dich noch hier?«
    In diesem Moment bemerkt sie die Frau. Sie steht etwa fünfzig Schritte entfernt unten am Hang und bückt sich gerade, um Blumen auf ein Grab zu legen. Oder vielleicht versucht sie, die Inschrift besser zu lesen. Es ist dieselbe Statur, dieselbe Körperhaltung. Dieselbe Lederjacke mit dem Fellkragen. Dieselben blonden Locken, nur dass sie diesmal unter einem Glockenhut hervorlugen. Es ist die Elsässerin, die Frau, die sie auf der Place de la Contrescarpe durchsucht hat.
    Alice spürt, wie alles ihrer Kontrolle entgleitet. Ihr Verstand stellt Berechnungen an – kurze verzweifelte Additionen und Subtraktionen. Wo sind die anderen? Wer von den vereinzelten Trauernden in dieser Stadt der toten Seelen beobachtet die Lebenden? Sie packt Yvettes Arm, wie man ein Kind festhalten würde. Sie ist leicht, ein Geschöpf aus hohlen, fleischlosen Knochen. Sie spricht ihr ins Gesicht, drängend, in der Hoffnung, dass die Worte wehtun. »Du hast gelogen, Yvette. Du falsche Schlange hast die ganze Zeit gelogen.«
    Yvettes Stimme ist der leise, kraftlose Klang der Verzweiflung. »Die haben Emile. Die haben versprochen, sie würden ihn freilassen.«
    »Und das hast du geglaubt? Die sind der Feind, Yvette. Die haben deinen Mann umgebracht,

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