Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
durchdringt – deine Kleidung, deine Habseligkeiten, deine Haut. Vielleicht riechst du nach Angst, wie ein starker Raucher nach Tabak riecht oder ein Alkoholiker nach Schnaps. »Das alles hier«, sagt sie. »Für die Organisation.«
Die Frau runzelt die Stirn. »Lassen Sie die blöde Fragerei. Sie sollten es eigentlich besser wissen. Fragen verlangen Antworten, und wenn du die Antwort nicht weißt, was vorkommt, fängst du an, irgendwas zu erfinden. Ich mach’s einfach, klar? Ich mach’s einfach. Und Sie auch.«
Als sie den Park betritt, sind dort nur wenige Leute unterwegs. Sie muss an ein Gemälde im Ashmolean Museum in Oxford denken, irgendwas von Pissarro – Der Tuileriengarten bei Regen oder so ähnlich. Die Wirklichkeit ahmt das Gemälde nach: kahle Bäume, Sprühregen, Windböen, die Frauen die Röcke flattern lassen, Pfützen, die wie Silbermünzen glänzen, der ganze Anblick verwischt und verschwommen zu Wolken und Nieselregen. Sie entdeckt die Statue Kain nach dem Mord an seinem Bruder Abel und schlendert auf sie zu, achtet auf Leute, die sie womöglich beobachten. Zwei deutsche Soldaten außer Dienst kommen näher und versuchen, sie in ein Gespräch zu verwickeln.
»Ich warte auf einen Freund«, sagt sie zu ihnen.
»Un Français?«
»Bien sûr.« Die Pistole, jetzt in ihrer Umhängetasche, wiegt schwer.
»Deutsche sind bessere Männer.«
»Nicht wenn sie keine Manieren haben.«
Gerettet wird sie – es ist lächerlich, ein absurdes Risiko –, als jemand ruft: »Menschenskind, lange nicht gesehen, was?« Es ist ein Mann, der jetzt mit flotten Schritten über den Kies auf sie und die beiden Soldaten zukommt. Er ist gut aussehend, mit vollem, welligem Haar und Augen, die offenbar gern lächeln. Er nimmt ihren Arm, während er den Deutschen zunickt, und zieht sie weg. »Haben wir uns nicht zuletzt bei Tante Mathilde gesehen?«
»Es ist eine Ewigkeit her«, stimmt sie zu. »Bevor sie nach Montpellier gezogen ist.«
Er küsst sie auf beide Wangen und dreht sich dann zu den Soldaten um, die noch immer zuschauen. Wenn sie seine Cousine nicht in Ruhe lassen, wird er sich bei ihrem vorgesetzten Offizier über sie beschweren. Sie ziehen lange Gesichter und gehen langsam davon. Gilbert grinst. »Eins muss man wissen, unsere tapferen Eroberer hören stets auf Befehle, wenn sie das Gefühl haben, sie kommen von jemandem, der wichtig ist.«
»Und Sie sind wichtig?«
»Ich klinge wichtig. Darauf kommt’s an. Und sie haben den leisen Verdacht, ich könnte gute Beziehungen haben.«
»Haben Sie welche?«
Er lacht. »In dieser verdammten Stadt braucht man Beziehungen, um zu überleben. Kommen Sie, wir gehen irgendwo hin, wo es gemütlicher ist.« Er hakt sie bei sich ein und führt sie zur Rue de Rivoli in ein Café, wo er bekannt ist und wo man sogar echten Kaffee bekommt, wenn man die richtige Kellnerin anspricht. Beim Kaffee plaudern sie eine Weile über nichts Besonderes – was er vor dem Krieg gemacht hat, dass er Pilot war, dass er wieder fliegen möchte –, und nachdem er bezahlt hat, gehen sie um die Ecke zu einer Wohnung, die er hat, zwei Zimmer, deren Einrichtung gerade mal aus ein paar Stühlen und einem Tisch und zwei Matratzen auf dem Boden besteht. Sie kommt sich vor wie ein leichtes Mädchen, ein Straßenflittchen, das nur noch den Preis aushandeln will. »Sie müssen sich alles, was ich Ihnen jetzt sage, gut einprägen«, sagt Gilbert zu ihr. »Können Sie das? Ohne sich irgendwas aufzuschreiben?«
»Klar kann ich das.«
»Claire hat von zwei Passagieren gesprochen.«
»Kommt drauf an.«
»Die Pianistin von CINÉASTE ?«
»Bei ihr bin ich mir nicht sicher. Ich werde sie noch treffen.«
»Wo ist das Problem?«
Sie zuckt die Achseln. Sie wird sich nicht zu Dingen ausfragen lassen, die ihn nichts angehen. Sie hätte es Claire gegenüber nicht erwähnen sollen, und Claire hätte es Gilbert nicht erzählen sollen. So etwas kann ganze Einsätze gefährden. »Ich werde es rausfinden. Aber der andere Passagier ist bestätigt.«
»Dann müssen wir also improvisieren?«
»Sieht so aus.«
»Ich werde Ihre Hilfe auf dem Landeplatz brauchen. Sie haben schon Lieferungen aus der Luft organisiert, nehm ich an? Rückführungen sind etwas anderes.« Er grinst entwaffnend, wie ein kleiner Junge, der einen Streich ausheckt. »Natürlich sind sie etwas anderes. Schon weil der verdammte Vogel erst mal landen muss. Aber das ist das Problem. Sie müssen die ganze Zeit dastehen, während er landet,
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