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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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voran. Kichernd und die Arme schwingend wie Puppen, folgen die Kinder ihr auf den Boulevard, mit lautem Holzschuhgeklapper. Vor ihnen auf der anderen Straßenseite sind jetzt über eine Länge von gut hundert Metern Soldaten aufmarschiert. Unteroffiziere brüllen Befehle, lassen sie Aufstellung nehmen, bereit, in die Seitenstraßen vorzurücken. Die Kinder bleiben stehen. Einige von den Männern lächeln und zeigen. »Die französische Armee«, sagt einer auf Deutsch, und seine Kameraden lachen.
    »Allons enfants!«, ruft Alice. Ihr Kindertrupp rückt zusammen und will schon weitergehen, als ein Leutnant ihr mit erhobener Hand den Weg versperrt. »Entschuldigen Sie, Mademoiselle , aber Sie müssen leider warten.« Er sieht aus wie höchstens achtzehn oder neunzehn, ein aufgeweckter Junge mit frischem Gesicht und nervösen Augen. Sein Französisch ist fehlerfrei und klar, Schulfranzösisch, das vielleicht durch gelegentliche Sommerferien auf der anderen Seite der Grenze noch aufpoliert wurde.
    »Was soll das heißen, wir können nicht durch?«, ruft sie. Mit dem Kind, das sich noch immer an ihren Hals klammert, dreht sie sich vielsagend zu den anderen um. »Diese Kinder müssen dringend nach Hause. Sie müssen sich waschen und was essen und dann ins Bett.«
    »Wir haben Befehle«, beharrt der Leutnant.
    »Befehle, Kinder aufzuhalten? Das kann nicht Ihr Ernst ein.«
    »Nicht, Kinder aufzuhalten. Die Gegend abzuriegeln. Hier läuft eine gefährliche Terroristin frei herum.«
    »Na, dann sehen wir besser zu, dass wir hier wegkommen. Damit wir nicht in Gefahr geraten, oder?«
    »Darum geht es nicht.«
    »Doch, genau darum geht es. Diese armen Kinder, Opfer der Bombardierungen, müssen nach Hause.«
    Er blickt auf die Reihe Kinder hinter ihr. »Sind das Juden?«
    »Natürlich sind das keine Juden. Sonst wären sie ja wohl kaum in der Obhut der Schwestern, oder? Es sind Christen, sie wohnen im Waisenhaus der Schwestern auf der Rue Timbaud. Sie können das gern überprüfen. Filles de la Charité.«
    Er saugt die Luft ein, als würde er sich fragen, woher der Wind weht. Dann scheint er eine Entscheidung zu treffen. »Ihre Papiere bitte.«
    Während sie noch in der Umhängetasche nach ihrem Ausweis kramt, zupft eines der Kinder an ihrem Mantel. »Daniel hat sich in die Hose gemacht, Mademoiselle.«
    Sie dreht sich um. Der fragliche Junge steht in einer Lache Urin. Eine der beiden Nonnen kommt nach vorne geeilt. »Das ist empörend!«, ruft sie, als sie sich neben den Jungen hockt, um ihn zu trösten. »Gottes Geschöpfen solche Angst einzujagen.«
    Alice wendet sich wieder dem Leutnant zu. »Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben. Kann ich bitte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen? Irgendwer muss hier doch das Kommando haben.«
    Der junge Mann läuft rot an. »Ich habe das Kommando.«
    »Dann verlange ich von Ihnen, diesen Kindern nicht länger Angst einzujagen und uns durchzulassen.«
    Er ist unschlüssig, hin- und hergerissen zwischen seiner Pflicht und der offensichtlichen Dummheit, eine Schar Kinder aufzuhalten. »Gehen Sie durch«, sagt er, schiebt ihren Ausweis beiseite. »Verschwinden Sie.«
    Hinter ihm teilt sich die Reihe Soldaten. Einer der Männer pfeift anerkennend. »Die Rattenfängerin von Hameln«, ruft eine Stimme. Noch mehr Gelächter. Die Rattenfängerin lächelt und macht eine Geste, die eine Mischung aus Winken und Salutieren ist. Prompt setzen sich die Kinder hinter ihr wieder in Bewegung, marschieren durch die Reihe der Soldaten, zwischen den Bäumen und den Marktständen hindurch auf den Mittelstreifen, dann über die Fahrbahn auf der anderen Seite und in die Seitenstraße gegenüber. Urplötzlich haben sie den Militärlärm hinter sich gelassen und tauchen ein in eine illusorische Stille.
    Eine der Schwestern nimmt ihr den Jungen aus den Armen. »Danke für Ihre Hilfe«, sagt sie. »Ich denke mir, Sie wollen weiter.«
    »Ich muss leider.«
    »Nehmen Sie nicht die Métro«, warnt die Nonne sie. »Die werden die Métro dichtmachen. Das machen sie immer.« Sie lächelt mitfühlend. »Und Gott segne Sie«, fügt sie hinzu.
    V
    Sie eilt durch die zunehmende Dämmerung der Stadt, hastet durch Nebenstraßen, überquert Boulevards wie ein Tier, das über ein offenes Feld huscht, über dem Raubvögel kreisen. Immer wenn sich ein Militärfahrzeug nähert, flüchtet sie in einen Hauseingang, bis es vorbeigebraust ist. Menschen, die in Scharen aus den Métrostationen strömen, stehen ratlos in der Dunkelheit herum.

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