Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Fighting Knife am Klingenansatz, die unverblümte Wahrheit ohne Beschönigung eingraviert. Wieder Fairbairn und Sykes. Der Griff lag sanft in ihrer Hand, ausbalanciert zwischen Daumen und Zeigefinger wie ein Dirigentenstab. »Damit könnte ich töten«, murmelte sie.
Sie übten aneinander mit Waffenattrappen, und was als gehemmtes Schauspielern begann, war schon bald kaum noch von echtem Kämpfen zu unterscheiden, spannungsgeladen und fürchterlich, als hinge ein Leben davon ab. Und Yvette machte vor, wie es ging, näherte sich ihrem Opfer von hinten, so leise wie eine Katze. Die Übrigen im Kurs schauten atemlos zu, was sich da vor ihren Augen abspielte, fesselnd und obszön zugleich: die kleine Frau, die sich anschleicht, plötzlich vorspringt und zusticht, das Messer, das in die Schulter dringt, direkt hinter dem Schlüsselbein, wo die Schlagader tief eingebettet zwischen Muskel und Bindegewebe liegt, wodurch das Opfer, wenn man es richtig machte, binnen vier Sekunden sterben würde.
V
Marian lag wach und dachte übers Töten nach. Töten im abstrakten Sinne war in Ordnung. Töten mit Abstand betrachtet, Töten in der Theorie. Sie dachte an den Filterraum, wo sich ein Dutzend Frauen am frühen Abend um den Kartentisch scharten, wenn die Signale von den Radarstationen hereinkamen. Ein einziges Gedränge, wenn sie übereinandergriffen, um Markierungen auf die Karte zu setzen, wie Glücksspieler am Roulettetisch ihre letzten Jetons legen. Die Aufregung, wenn aus einzelnen Positionsortungen Dutzende wurden, Hunderte, wenn Flugbewegungen erkannt und weitergegeben wurden, wie sie über die runde Ausbuchtung East Anglias hinaus in Richtung See strebten. Jede einzelne Ortung stand für sieben Männer, und das hieß sieben Leben. Sieben mal siebenhundert. Rund fünftausend Leben. Sie zogen lautlos über den Kartentisch und verschwanden über den Rand der bekannten Welt, und die Frauen warteten, rauchten, tranken Tee, plauderten halbherzig, während das Töten stattfand, fernes Töten, das weder zu sehen noch zu hören war, die Pulverisierung der deutschen Städte. Doch was der fuchsrote Ausbilder ihnen beibrachte, war etwas anderes: Töten, wenn du die Gurgel des Feindes unter dem Arm spüren konntest, seinen Atem an deiner Wange, sein Blut an deinen Händen. Wie schafft man das?
»Oh, damit hätte ich kein Problem«, versicherte Yvette ihr. »Ich glaube, ich würde es genießen.«
Wenn es nicht um Tod ging, ging es um Zerstörung. Wie man eine Tür sprengte, ein Auto außer Betrieb setzte, einen Zug in die Luft jagte. Sie musste mit Emile zusammen ein Team bilden. Er wusste schon immer alles, noch bevor der Unterricht begann. »Hab mal bei der Eisenbahn im Kongo gearbeitet«, erklärte er, während man ihnen beibrachte, wie man eine Bahnstrecke zerstörte.
»War das nach der Zeit in den Bergminen?«
»Das ist eine komplizierte Frage.«
»Nein, gar nicht. Es ist nicht mal eine, auf die ich eine Antwort möchte.« Aber sie erhielt dennoch eine Antwort, die präzise Chronologie seines Werdegangs als Bergwerksingenieur, Eisenbahningenieur, Bauingenieur, jede Sorte Ingenieur, die man sich vorstellen konnte. »War ganz schön hart, den Schwarzen den Fortschritt nahezubringen.«
»Für dich und Mr Kurtz, meinst du?«
Das verwirrte ihn. Es war immer ein Triumph, Emile zu verwirren. »Kurtz? Ich hab nie jemanden gekannt, der Kurtz hieß.«
Sie hasste ihn. Es kam nicht oft vor, dass sie jemanden hasste, aber Emile hasste sie. Einer von den Leuten in unserem Lehrgang ist ein aufgeblasener Besserwisser , schrieb sie ihrem Vater am nächsten Tag. Die Sorte, die Du nicht ausstehen kannst .
Sie übten regelmäßig drahtlose Telegrafie und Morsecode, tippten mit nervösen Fingern auf der Taste und versuchten, dem irritierenden Piepsen eine zusammenhängende Abfolge von Punkten und Strichen abzuringen. Das Boot legt am Fünfzehnten in Dover an. Das Testspiel wird mit einem Sieg für Australien ausgehen. Solche und ähnliche Nonsensnachrichten.
»Jeder Funker hat seinen eigenen Stil. So individuell wie die Handschrift.«
Finger hackten auf die Bakelitknöpfe. »Arthritis«, so nannten sie die Morsetastung: Genau wie Arthritis verursachte sie eine unangenehme Spannung im Handgelenk, schmerzende Handwurzel- und Mittelhandknochen, steife und unbewegliche Finger. »Genauigkeit ist alles. Genauigkeit und Tempo. Davon könnten Menschenleben abhängen. Vielleicht sogar euer eigenes.« Durchschläge wanderten zwischen Ausbildern und
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