Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
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Emile ist ein nerviger Besserwisser.
Häufig dachte Marian an Clément. Sie kämpfte dagegen an, aber es half nichts. Es kam ihr lächerlich vor, einer kindischen Schwärmerei nachzuhängen, aber die Erinnerungen waren stark und verwirrend, etwas, das die ganze Persönlichkeit aushöhlen konnte, das Gleichgewicht stören, das sie als Erwachsene erreicht hatte. Sie erinnerte sich an ihn in Paris, während des Besuchs mit ihrem Vater kurz vor Kriegsbeginn. Sie erinnerte sich an ihren gemeinsamen Spaziergang im Englischen Garten in Genf. Sie erinnerte sich an andere Zeiten und andere Orte. Skilaufen in Megève. Segeln in Annecy. Manchmal tat sie sich schwer mit der Chronologie. Was war wann passiert? Er und Ned spielten öfter ein Brettspiel, das sie Blindschach oder Kriegsspiel nannten, mit zwei Brettern, bei dem jeder Spieler nur sein eigenes sehen konnte. Sie brauchten dazu einen Schiedsrichter, der ihnen sagte, ob ein geplanter Zug zulässig war oder nicht. Da Madeleine sich jedes Mal weigerte, wurde Marian rekrutiert. Und sie sagte natürlich Ja, freute sich, einfach nur in Cléments Gegenwart zu sein. Ihre Aufgabe war es, beide Bretter im Auge zu behalten, während jeder Spieler nur seine eigenen Schachfiguren sah und raten und abschätzen musste, was sein Gegner vorhatte. Das Spiel war seltsam unzusammenhängend gewesen, da jeder der beiden nur unvollständige Informationen hatte und sozusagen im Dunkeln tappte. Genau wie die Physikforschung, sagte Clément gern. Superposition und Ungewissheit. Eine Quantenwelt.
Vor allem erinnerte sie sich an jenen Tag am See. An den dachte sie immer. Ein Tag, der erfüllt war von Sonne und Wind und einem seltsamen, flirrenden Licht. Ein traumähnlicher Tag, der sich von allen anderen abhob, an dem Erschütterungen normal schienen.
VI
Sie bekamen einen Tag frei. Ausnahmsweise schien mal die Sonne, und eine leichte Brise wehte, daher beschlossen Marian und Yvette, auf den Berg zu steigen, den sie zu Beginn ihres Aufenthaltes kaum hatten bezwingen können. Meith Bheinn hieß er, ein schroffer Koloss, der hinter der Lodge aufragte, bewacht von Felsen und den allgegenwärtigen schottischen Sümpfen. Sogar Yvette war stärker geworden, hatte sich von dem Stadtmenschen der ersten Tage in jemanden verwandelt, der diese einsame Landschaft fast mit Leichtigkeit durchwandern konnte. Und so stapften sie die Hänge hinauf, kletterten über Felsen, platschten lachend durch die morastigen Wiesen. »Sieh mal da!«, rief Marian, als sie etwas durchs Heidekraut huschen sah.
Yvette blickte in die Richtung. »Was? Wo?« Aber das Tier war verschwunden. Ein Moorhuhn vielleicht, das sicher auf dem Boden blieb, statt aufzufliegen und erlegt zu werden, ein Leben im Verborgenen.
Der Aufstieg dauerte zweieinhalb Stunden, und oben angekommen, konnten sie die Inseln überblicken: Rum, Eigg und Muck nicht weit vor der Küste und Skye wie ein Schutzschild am Rande des Atlantiks. Hier waren sie zu hoch für die Mücken. Der Wind wehte kühl, aber sie fanden Deckung hinter einem Felsbrocken, wo sie sich in den schwachen Sonnenschein legten, die mitgebrachten Sandwiches aßen und darüber sprachen, was alles passieren könnte.
»Ich glaube, die lassen mich durchfallen«, sagte Yvette. »Ich glaube, die werden mir sagen, ich eigne mich nicht für ihre Zwecke.«
»Sei nicht albern. Du machst das gut.«
»Nein, gar nicht. Die wollen Leute, die über Berge laufen und durch Flüsse waten können und so Sachen. Aber was ist mit den Städten? Da sind doch die meisten Menschen. Da muss der Widerstand stattfinden.«
»Vielleicht schicken sie uns ja ins Massif Central.«
»Ich tippe eher auf Paris, und dann fragen wir uns, wieso um alles in der Welt wir diese Ausbildung absolvieren mussten.«
Es war seltsam, dass sie das Kollektivpronomen benutzten. Nous . Als ob sie zusammenbleiben würden. Aber es würde garantiert kein »Wir« geben. Sie würden auf sich allein gestellt sein.
»Was hast du vor, wenn das alles vorbei ist?«, fragte Marian.
Yvette antwortete mit einem fatalistischen, typisch französischen Achselzucken. »Mir wieder einen Mann suchen, schätze ich.
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