Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Spione. Ehrlich.«
»Ist doch klar, dass Sie das sagen. Genau das würden Spione ja wohl auch sagen, oder?«
»Vermutlich. Aber wir sind Sekretärinnen, im Office for Inter-Services Liaison in Edinburgh. Sie können das überprüfen, wenn Sie wollen.«
»Inter-Services Liaison? Nie gehört.«
»Wir sind furchtbar wichtig. Die Nahtstelle zwischen den Geheimdiensten.«
»Wichtig hin oder her, Sie haben hier nichts zu suchen. Sie kommen jetzt mit.«
Und so machten sie sich auf den Weg nach unten, der Captain vorneweg, die beiden Frauen hinterdrein, eskortiert von den Männern.
»Kriegen wir Schwierigkeiten?«, fragte Yvette im Flüsterton.
»Unsinn.«
Benoît schloss zu ihnen auf. Er betrachtete Marian mit einem neugierigen Seitenblick, als versuchte er, sich zu erinnern. Dann leuchteten seine Augen auf. »Sie sind Anne-Marie! La belle Anne-Marie, die nicht mit mir tanzen gehen wollte. Mais qu’est-ce que vous faites là?«
»Geht Sie das was an?«
Er lachte. Er sah ganz anders aus als der angetrunkene junge Mann, der sie zum Tanzen hatte überreden wollen. Jünger, keine Frage, aber ernst und nachdenklich. »Sie ist eine Überraschung, unsere Anne-Marie. Ich hab nicht damit gerechnet, sie hier wiederzusehen. Hier, in diesem beschissenen Teil der Welt, rechne ich höchstens mit Schafen, nicht mit schönen Frauen. Und nicht mit Londonerinnen, die sich plötzlich als Französinnen entpuppen. Sie haben mich reingelegt, wissen Sie. Ich hab nicht gemerkt, dass Sie Französin sind. Erst ganz zum Schluss, als Sie gegangen sind. Emmerdeur haben Sie mich genannt.«
»Waren Sie ja auch.«
»Es war mein letzter Abend, bevor ich hergekommen bin.«
»Meiner auch.«
»Wir hätten ihn zusammen verbringen sollen.«
»Sie hätten nüchtern sein sollen.«
Der Captain blickte über die Schulter, hatte plötzlich mitbekommen, welche Sprache da hinter ihm gesprochen wurde. »Sind die Frauen Französinnen? Est-ce que vous êtes françaises? «
Die Gruppe blieb abrupt stehen. Wieder wurden Fragen gestellt. Was machten zwei Französinnen hier? Bei dem Offizier regte sich der leise Verdacht, dass er verschaukelt wurde. »Kommt ihr vom Meoble?«, fragte er.
Marian lächelte, als wäre der Augenblick der Wahrheit gekommen. »Meoble Hotel, ja genau. Dort sind wir untergebracht. Eigentlich kein richtiges Hotel, eher ein Arbeitslager.«
»Hören Sie, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Tja, das konnte ich Ihnen doch nicht gleich verraten, oder? Ist schließlich alles geheim. Das binde ich doch nicht jedem dahergelaufenen Wandervogel auf die Nase.«
Der Blick, mit dem der Offizier sie musterte, grenzte an Wut. »Ich bin kein dahergelaufener Wandervogel. Ich bin ein erfahrener Bergsteiger. Ich habe mit F. S. Smythe den Everest bestiegen. Ich bin bis zum Basislager des Kanchenjunga gestiegen. Und ich muss mir keine Unverschämtheiten von einer jungen Göre auf einem Wanderausflug bieten lassen. Also, ihr zwei kommt jetzt mit, und dann sehen wir weiter.«
Er drehte sich auf dem Absatz um und stürmte voraus den holprigen Hang hinunter. Seine Leute folgten ihm, rutschend und schlitternd an den steileren Stellen, die beiden Frauen in ihrer Mitte. Benoît ging noch immer neben Marian. Er sprach möglichst leise, damit der Captain nichts aufschnappte. »Dann sind Sie also wirklich in der Ausbildung.« Er schüttelte den Kopf vor Erstaunen. Und Bewunderung. »Sie sind eine richtige casse-cou! Wo kommen Sie her?«
»Genf.«
»Ah, une Genevoise . Jetzt erkenne ich Ihren Akzent.«
»Mein Vater hat beim Völkerbund gearbeitet.«
»Vornehm!«
»Quatsch. Er ist ein ganz normaler Mann. Er ist mein Vater.«
»Und hat die Tochter aus vornehmem Hause Spaß an dem Lehrgang?«
»Ich hab doch gesagt, dass wir nicht vornehm sind.« Aber sie gab zu, dass die Ausbildung ihr Spaß machte, auf eine masochistische Art und Weise. Es war wie ein besserer Ausflug mit ihrem Onkel Jacques, der sie früher oft zum Bergsteigen in den Alpen mitgenommen hatte.
»Bis auf das Wetter.«
»Bis auf das Wetter.« Sie lachten. Über das Wetter musste man einfach lachen. Die einzige Alternative war weinen, und das nutzte nichts, weil ohnehin keiner die Tränen bemerken würde. »Wir sind mit dem Kanu über den See gepaddelt«, erzählte er ihr und korrigierte sich dann rasch mit übertriebenem Sarkasmus: »Über den Loch . Die regen sich hier furchtbar auf, wenn man See sagt. Und dann sind wir so schnell wir konnten hoch zum Gipfel. Das ist so eine Art
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