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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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wissenschaftliche Themen geredet. Ich weiß noch, dass keiner ein Wort verstanden hat. Daddy hat gesagt, es würde sich anhören wie Alchemie, die Verwandlung von unedlem Metall in Gold. Der Stein der Weisen. ›Was lasst ihr Physiker euch als Nächstes einfallen?‹, hat er gesagt. Du warst sauer auf ihn.«
    »Er hat wie immer nicht verstanden, worum es ging. Er hat gedacht, es wäre ein Scherz, irgendein esoterischer Zaubertrick. Das ist das Problem mit Diplomaten. Die sind alle Humanisten. Keine Naturwissenschaftler unter ihnen. Jeder Naturwissenschaftler hätte begriffen, wie fundamental die Sache war.« Fundamental war ein typischer Ausdruck von ihm. Damit konnte er jeden mundtot machen. »Das war völlig überraschend, diese Spaltung, meine ich, richtig verblüffend. So erstaunlich, wie wenn man mit einem Pusterohr auf einen Diamanten schießen würde und – pling! – der Diamant bricht auseinander … und es werden zwei ganz neue Edelsteine daraus. Rubin und Saphir zum Beispiel. Und gleichzeitig wird Energie freigesetzt, eine gewaltige Menge Energie.«
    »Aber ist das nicht alles in Deutschland passiert? Was hat Clément damit zu tun?«
    »Hahn und Straßmann konnten die Kernspaltung erstmals mit einem Experiment nachweisen, im Dezember ’ 38 . Ja, das war in Berlin. Aber Irène Curie und Pavel Savitch waren ein Jahr früher in ihren Versuchen am Radium-Institut in Paris zu genau denselben Ergebnissen gelangt, hatten sie nur nicht richtig interpretiert. Das hab ich euch damals bestimmt auch erzählt.«
    »Wir haben nicht richtig zugehört, und wenn doch, haben wir nicht richtig verstanden, was du da erzählt hast.«
    »Dabei ist es gar nicht so schwer.« Er sah ungehalten aus, fast erbost. »Das ist das Problem mit den meisten Leuten. Sie versuchen gar nicht erst, etwas zu verstehen. Du musst wissen, Atomkerne werden durch gewaltige Kräfte zusammengehalten, und damals dachte jeder, sie könnten nicht einfach so auseinanderbrechen. Aber das können sie. Wenn sie groß genug sind, können sie das. Und wenn sie das tun, wird eine Energie freigesetzt, die diesen Kräften entspricht. Dann hat Freds Labor noch etwas nachgewiesen: Wenn diese Spaltung stattfindet, wird nicht nur Energie freigesetzt, es entstehen auch Neutronen. Diese Neutronen treffen dann auf weitere Uranatome und bewirken, dass auch diese sich spalten. Wenn jedes zerfallende Atom wenigstens zwei Neutronen freisetzt, dann könnten diese Neutronen auf zwei weitere Uranatome treffen, die sich wiederum spalten. Verstehst du den Gedanken? Wie beim Billard, nur dass jede einzelne Kollision die Möglichkeit von zwei weiteren Kollisionen schafft. Die Folge wäre eine Kaskade von Uranatomen, die sich spalten, aus einem werden zwei, aus zwei werden vier, aus vier acht und so weiter. Eine exponentielle Steigerung. Das nennt man Kettenreaktion. Joliot und sein Team haben bewiesen, dass das passieren würde. Nicht dass es passieren könnte – es würde passieren.«
    Sie war solche Gespräche gewohnt. Ned hatte schon oft versucht, ihr seinen Kosmos zu erklären. Für sie war das eine bizarre Welt, voll nebulöser Ideen und diffuser Realitäten. Denk dran, hatte er zu ihr gesagt, das Atom ist in der Hauptsache rein gar nichts, ein harter Kern, wo sich die Materie konzentriert, mit einem weiten leeren Raum drum herum. Wenn der Kern die Größe deiner Faust hätte – er hielt seine Faust hoch –, dann lägen die äußeren Grenzen dieses einen Atoms, der äußere Rand seiner Leere, ungefähr eine halbe Meile weit weg. Die Realität ist praktisch leerer Raum.
    »Und diese Kettenreaktion ergibt eine Bombe?«
    »Denk an die Energie«, sagte er. »Wenn sich ein Urankern spaltet, hast du auf einmal zwei Kerne gleich nebeneinander.« Er formte mit seinen Händen eine Kugel, Fingerspitzen aneinander, und ließ dann die Kugel zu beiden Fäusten auseinanderplatzen. »Aber Kerne sollten nicht so dicht zusammen sein. Sie sollten …«
    Und auf einmal verstand sie es. »Eine halbe Meile auseinander sein! Nein, das mal zwei. Sie sollten eine Meile auseinander sein!« Sie hätte fast aufgelacht. Zum ersten Mal blickte sie in seine Welt: Zwei Atomkerne so dicht zusammen, das war geradezu empörend, schockierend, wider die Natur.
    Er nickte, als wäre das das Selbstverständlichste von der Welt. »Sie sollten eine Meile auseinander sein, und stattdessen berühren sie sich. Und deshalb fliegen sie mit gigantischer Geschwindigkeit auseinander, um wieder ihre korrekte Entfernung

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