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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
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der kritischen Masse gearbeitet. Natururan besteht aus zwei verschiedenen Sorten, verschiedenen Isotopen. Fast ausschließlich, nämlich zu über 99 Prozent, aus dem Isotop Uran- 238 und bloß zu 0,7 Prozent aus der anderen Sorte, genannt Uran- 235 . Clément hat mit den Berechnungen gearbeitet, die Perrin aufgestellt hatte. Mittlere freie Weglängen und Wirkungsquerschnitte und Wahrscheinlichkeiten, jede Menge Zeug. Thermische Neutronen und langsame Neutronen. Und dann hat er etwas ungemein Wichtiges festgestellt: Wenn nur das Uran- 235 zur Kernspaltung fähig ist und wenn du eine relativ reine Probe 235 erhalten könntest, dann würden die Berechnungen zu anderen Ergebnissen führen. Eine vierundvierzig Tonnen schwere Atombombe, sogar schon eine dreizehn Tonnen schwere, ist eine Riesenbombe. Ein Flugzeug könnte sie nicht transportieren. Aber wenn du den Anteil von Uran- 235 in deiner Probe erhöhen kannst, dann verringert sich der Wert für die kritische Masse dramatisch.«
    »Wie dramatisch?«
    »Das hängt vom Grad der Anreicherung ab, und selbst dann sind die Ergebnisse ungenau. Clément hat seine überarbeiteten Berechnungen auf der Grundlage von Pfunden angestellt, nicht Tonnen. Sagen wir zehn, vielleicht noch weniger. Überhaupt keine Masse.« Zwischen den Sträuchern um die kleine Lichtung herum, auf der sie standen, war ein kleiner Steingarten. Ned ging hin, hob zwei große Steine auf und kam mit ihnen zurück. »Stell dir vor, das hier sind Klumpen Uranmetall, jeder von beiden knapp unter der kritischen Masse.« Er reichte sie ihr. »Stell dir vor, es ist Uran. Es ist gräulich und glänzt. Eigentlich ganz dekorativ. Jetzt schlag die beiden zusammen.«
    Sie tat wie geheißen. Ein Kinderspiel. Rums! Und ein leicht schwefliger Geruch nach Funken stieg auf.
    »Na bitte! Mehr ist nicht erforderlich. Du hast gerade London von der Landkarte radiert und aus der Geschichte gesprengt. In Luft aufgelöst.«
    »Das allein reicht aus, um alles verschwinden zu lassen?«
    »Das allein reicht aus. Wenn die beiden Klumpen unter der kritischen Masse liegen, passiert nichts, solange du sie getrennt hältst. Schlägst du sie zusammen, beginnt die Kettenreaktion, und zwar schnell, fast mit Lichtgeschwindigkeit. Die Atome spalten sich in einer Kaskade, wobei jedes wiederum die Spaltung der nächsten beiden bewirkt und alle jeweils ihre Energie freisetzen. Wenn das mit einem Kilo Uran geschieht, entspricht die frei werdende Energie einer Detonation von zwanzigtausend Tonnen TNT .«
    Sie kannte TNT . Sie kannte alle Sprengstoffe: Plastik, Nobel 808 , Ammonal, Schießwolle. Sie wusste, wie eine Sprengladung modelliert, mit einer Zündschnur verbunden und zur Detonation gebracht wurde. Sie konnte eine Eisenbahnstrecke lahmlegen und einen Zug in die Luft jagen oder ein Auto. Sie hätte sich auch zugetraut, eine Brücke zu zerstören, obwohl man dafür Experte sein musste, wie Benoît. Aber nicht so was, nicht eine ganze Stadt, mit einem Schlag.
    »Das ist doch alles Theorie, oder?«
    »Es ist so sicher wie das Leben selbst.«
    Sie warf die Steine wieder zwischen die Sträucher und klopfte sich den Sand von den Händen. »Ich glaube dir nicht.«
    »Das spielt keine Rolle. Ob du es glaubst oder nicht, ändert nichts an den Tatsachen. Die hängen nicht von Glauben ab.«
    Sie sah sich um. Betrachtete die alten Platanen im Park, mit ihren Tarnfarbenstämmen und zitternden Blättern, und dahinter die Häuser, die den Platz säumten, das eine oder andere nur noch ein hohles Gerippe, aber noch immer da; und die Stadt selbst, lädiert von den Bomben, aber noch unbestreitbar da. Es überstieg jedes Vorstellungsvermögen, dass das alles von einer Sekunde auf die andere durch das bloße Zusammenschlagen zweier Metallklumpen ausradiert werden könnte.
    »Und jetzt wissen die alles über mich und Clément.« Es kam ihr unwirklich vor, als würde das zufällige Zusammentreffen von Umständen eine kleine, aber beängstigende Explosion auslösen. Sie sah ihren Bruder mit einem Ausdruck an, der um Entschuldigung für ihre vorherige Wut bat.
    »Weißt du noch, wie wir Schweinchen in der Mitte gespielt haben, mit mir als Schweinchen?«
    »Wir nannten es ›die Wellenfunktion kollabieren lassen‹.«
    »Das hat mich immer richtig wütend gemacht.«
    »Aber du hast weitergespielt, nicht? Wegen Clément.«
    »Genauso fühle ich mich jetzt. Wie das Schweinchen in der Mitte.«
    Er lächelte, ein bitteres kleines Lächeln. »Das warst du immer«, sagte

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